Blubbern an der BürgerkriegsfrontDas finanziell gefährdete Stuttgarter Eclat-Festival läuft auf HochtourenDer angekündigte Teilrückzug der deutschen Rundfunkanstalten aus seinen kulturellen Verpflichtungen wird das Musikleben in Deutschland in den nächsten Jahren tiefgreifend verändern. Ins Visier der Abwickler sind zunächst einzelne Klangkörper geraten. Doch nun hat es auch eine Veranstaltungsreihe für neue Musik erwischt: das international renommierte Eclat-Festival in Stuttgart. Angesiedelt im Stuttgarter Theaterhaus, einem Treffpunkt von Musik, Theater, Literatur und bildender Kunst, lockt es jährlich im Januar ein zahlreiches, vielseitig interessiertes Publikum an. Getreu der neuen Devise, er sei ein Sende- und kein Konzertveranstalter, will sich der bisher stark engagierte SWR künftig auf eine reine Mitschnittfunktion beschränken. Ob und wie es weitergeht, hängt nun von einem neuen Geldgeber ab. Das leidige Geld ist eine Sache für das Überleben von Kunst. Eine andere ist der verantwortliche Umgang aller Beteiligter mit ihr. Das weiss auch der künstlerische Leiter des Eclat-Festivals, der Rundfunkredakteur Hans-Peter Jahn. Im Programmheft hat er deshalb die Rede abgedruckt, die die Regisseurin Andrea Breth 2004 vor der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt gehalten hat; in ihr wird die Frage nach der künstlerischen Verantwortung mit bemerkenswerter Dringlichkeit formuliert. Etwas von diesem Ethos möchte Jahn im Festivalprogramm sichtbar machen, indem er inhaltliche Akzente jenseits des unverbindlichen Experiments setzt. Natürlich enthält das thematisch weit gespannte Programm nach wie vor das Orchesterkonzert oder den Auftritt der hoch spezialisierten Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Auch das vor der Auflösung stehenden SWR Vokalensemble Stuttgart durfte sich nochmals präsentieren, unter anderem mit der Uraufführung von „Shir Shavur, zwölf Gedichte von David Rokeah“ von Heinz Hollliger. Daneben findet aber auch das Musiktheater für Kinder Platz. „Vom Klang der Schatten“ heisst die Produktion, die Adelheid Kreisz und Sylwia Zytynska mit Schülerinnen und Schülern der Allgemeinen Musikschule Basel erarbeiteten. Mit Schattenspielen, Projektionen und einfachen Klangerzeugern werden kleine, fantastische Geschichten aus Form, Farbe und Klang auf Projektionswände gezaubert. Hier, wie in einem Komponistenporträt des 1943 geborenen Peterburgers Alexander Knaifel schimmerte etwas von jener künstlerischen Verbindlichkeit durch, die in der Routine des heutigen Avantgardebetriebs oft verloren geht. Überraschende Ein- und Ausblicke ergaben sich bei einem Kernstück des Festivals, den zehn Musiktheater-Miniaturen mit je drei Akteuren, realisiert von zehn verschiedenen Autorenteams. Das Thema lautete „Großstadt nachts“. Der Abend geriet zu einer Bestandesaufnahme der intellektuellen Befindlichkeiten im heutigen Deutschland: Eine Bilderfolge aus dem beschädigten Leben, mit Fernsehgeflimmer, Rattern von Maschinengewehren, Giftattentaten, in Kloschüsseln eingebauten Videokameras und kaputten Dialogen, musikalisch meist dürftig untermalt vom Blubbern und Rauschen des Computers. Einiges war formal durchaus gelungen, eine einzige Produktion sie stammte vom komponierenden Programmacher Jahn verweigerte sich dem inneren Bürgerkrieg und öffnete ein Fenster zu einer poetischen Wirklichkeit. Das meiste wirkte wie eine unfreiwillig-zynische Bestätigung des schlechten Bestehenden und liess erkennen, wie sorglos sich doch im subventionierten Elend noch immer leben lässt. Der Aufschrei wird gross sein, wenn der Geldhahn zugedreht wird. © Max Nyffeler
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