Nachdem sich der Pulverdampf des Kalten Kriegs verzogen hat, wird auch der Blick auf einen Komponisten wie Hanns Eisler freier und unvoreingenommener. Sein hundertster Geburtstag am 6. Juli 1998 wurde mancherorts zum Anlass genommen, sich mit ihm aus gewachsener Distanz neu zu beschäftigen. So erschien unter anderem eine grössere Anzahl von CDs mit neuen und alten Einspielungen seiner Werke.
Jahrzehntelang hatten sich an Eisler die Geister geschieden. Für die einen war er eine Ikone der politischen Ästhetik. Sie stilisierten ihn zum engagierten Künstler schlechthin, der politische und ästhetische Moral zur Deckung zu bringen wusste. Die andern verteufelten ihn als künstlerisch gewissenlosen Agitprop-Aktivisten, der sich sogar dazu hergab, die DDR-Nationalhymne zu komponieren. Nun beginnt man langsam die immense Vielfalt seines Oeuvres zu erkennen, und hinter der Erscheinung des Songschreibers für Brecht, als der er vor allem galt, wird ein anderer Umriss sichtbar: der einer Jahrhundertgestalt.
Eislers Leben war eng mit den grossen historischen Kämpfen dieses Jahrhunderts verflochten, sein Werk ist von ihnen gezeichnet. Er war der Prototyp des kulturellen Überläufers, ganz nach Brechts Devise: 'In mir habt ihr einen, auf den ihr nicht bauen könnt.' 1898 als Sohn eines Wiener Philosophen jüdischer Herkunft geboren, studierte er bei Arnold Schönberg und galt in den frühen zwanziger Jahren als Hoffnungsträger der Wiener Schule. Dann ging er nach Berlin, wo er Kampflieder für die KPD und schnoddrige Musikkritiken für die Rote Fahne schrieb, Filmmusiken komponierte und mit Brecht zusammenarbeitete. Mit diesem teilte er das Emigrantenschicksal - nicht in Moskau, sondern in Kalifornien - und die zwiespältigen Erfahrungen mit der SED nach seiner Rückkehr 1949 nach Ostberlin.
Die komplizierte, gebrochene Biographie findet ihr Pendant in einem Lebenswerk, das, aufs Ganze gesehen, jede Stilreinheit oder Zugehörigkeit zu einer 'Schule' vermissen läßt. Der atonale Expressionismus des Schönberg-Kreises und der rauhe Tonfall des Marschlieds, Zwölftonreihe, jazziges Saxophon und neoklassizistische Generalbass-Struktur stehen bei Eisler schroff nebeneinander - alles auf hohem handwerklichem Niveau, wohlverstanden. Er setzte die unterschiedlichen musikalischen Sprechweisen gleichsam operativ, mit Blick auf den Adressaten ein, darin intuitiv Erkenntnissen der modernen Sprachtheorie folgend. Zu Zeiten des Originalgenies wurde so etwas 'Eklektizismus' genannt, mit deutlich pejorativem Unterton. Heute, da sich sowohl allgemeines Hören als auch das Selbstverständnis des Künstlers mehr und mehr entfernen von geschlossenen Systemen und eng definierten Bildungstraditionen, wächst einer solchen Perspektivenvielfalt überraschende Aktualität zu.
Zugleich wird durch die historische Distanz doch so manches an Eislers Werk relativiert. Zum Beispiel die Deutsche Symphonie, die lange als eine Art verkanntes musikalisches Opus summum des deutschen Antifaschismus gehandelt wurde, was umso vielversprechender klang, als man sie praktisch nie hören konnte. 1935 im Exil angefangen und 1947 in der Erstfassung beendet, kam sie 1959 in der DDR erst nach langen Querelen zur Uraufführung. Als Vokalsinfonie ist sie weitgehend zwölftönig komponiert, nach damaliger Parteidoktrin also in einer bürgerlich-dekadenten Technik. Zugrunde liegen ihr Texte von Brecht, Julius Bittner und Eisler (nach Silone). Dem Stoff entsprechend ist der Ton düster und schwer, ähnlich den Kriegssinfonien von Schostakowitsch. Das Label Berlin Classics, das in seiner inzwischen ein Dutzend Titel umfassenden Eisler-Edition auch auf alte DDR-Bestände zurückgreift, hat von der Deutschen Symphonie nun eine Ostberliner Produktion von 1987 veröffentlicht. Sieben Gesangssolisten, Rundfunkchor und Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin musizieren unter der Leitung von Max Pommer auf hohem Niveau. Doch hat das Werk hörbar Patina angesetzt. Brechts Texte wirken oft zeigefingerhaft, ihre Vertonung ist einem altväterischen Realismusbegriff verpflichtet, der die angestrebte tragische Dimension häufig auf das Format einer volksaufklärerischen Kantate zusammenschnurren lässt. Erstaunlich bei all der Widersprüchlichkeit bleibt die Tatsache, dass hier ein Komponist mit einigem Erfolg versuchte, eine als elitär verrufene Kompositionstechnik in den Dienst einer grossen und allgemeinverständlichen politischen Aussage zu stellen; paradoxerweise gelingt ihm das gerade in den rein instrumentalen Teilen immer wieder auf faszinierende Weise.
Zwei weitere zum Eisler-Jahr erschienene, digital aufbereitete Neueditionen von Berlin Classics illustrieren die erstaunliche Bandbreite von Eislers Schaffen: Liedaufnahmen aus den fünfziger Jahren mit der Sängerin Irmgard Arnold, die eng mit dem Komponisten zusammenarbeitete und also für eine gleichsam 'authentische' Interpretation bürgt, und eine Doppel-CD mit vokal-instrumentaler Kammermusik, aufgenommen 1961-82. In vorzüglichen Interpretationen wird hier der Schaffensteil dokumentiert, in dem Eisler das avantgardistische Postulat einer fortschrittlichen Materialbehandlung am konsequentesten befolgt hat. Das älteste Werk in dieser bemerkenswerten Wiederveröffentlichung sind die Galgenlieder von 1917, das späteste die zwölftönigen Variationen Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben von 1941.
Ins helle Licht des Zeitgeistes gerückt erscheint Eisler auf einer CD, die der Wiener Komponist, Dirigent und Sänger HK Gruber mit dem Ensemble Modern aufgenommen hat. Die aus Filmmusiken extrahierten Suiten Nr. 2 bis 5 für kleines Orchester wechseln sich ab mit einer Reihe von politischen Liedern nach Brecht, Tucholsky und anderen. Mit seiner wienerischen Dialektfärbung und der messerscharfen Artikulation kommt der Sänger Gruber dem quengelig-krächzenden Tonfall Eislers erstaunlich nahe, mit aggressiven Tempi treibt der Dirigent Gruber die Instrumentalisten zu musikalischen Höchstleistungen. Grelle Klangfarben, entfesselte Dynamik und eine virtuose Ensemblepolyphonie herrschen vor. Das Präludium zur Kuhle Wampe-Suite gerät zur brillant-ruppigen Parforcejagd, die selbst noch ertaubte Technofans zum Hüpfen bringen kann. Der Titel 'Roaring Eisler' ist denn auch nicht zu hoch gegriffen für diese elektrisierende CD. Es wäre eine herausragende Produktion geworden, wenn die 'Betreuung' durch die Firma BMG nicht so überaus schlampig gewesen wäre. In der 1998 veröffentlichten Erstauflage der CD weichen gesungenen Texte von den abgedruckten oft erheblich ab, und in Begleitheft und Cover wurde das Timing der 27 Einzelnummern einfach vergessen. Inzwischen sollen die Nachlässigkeiten korrigiert worden sein.
Eine Entdeckung ist die Eisler-CD, die Decca in der Reihe 'Entartete Musik' herausgegeben hat. Zwei junge, schon international erfolgreiche Musiker - der Bariton Matthias Goerne und der Pianist Eric Schneider - haben sich zusammengetan, um ein Programm von siebzig Minuten Dauer mit Kunstliedern des schwereren Kalibers aufzunehmen. Herausgekommen ist ein fesselndes Panorama von musikalischer Emigrationslyrik, das einmal mehr auf Eislers Gewandtheit im Umgang mit ganz unterschiedlichen Genres verweist. Die 1942/43 komponierten Stücke fasste Eisler ursprünglich unter dem Titel Hollywooder Liederbuch zusammen. In ihnen spiegelt sich ein Bewußtsein, das alle Zustände von Grübelei und einsamem Protest bis hin zu Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung durchmachte. Neben vielen Brecht-Vertonungen enthalten sie auch die Anakreontischen Fragmente nach Mörike und die Hölderlin-Fragmente. Bei den Klassikern fand Eisler einen Resonanzraum für seine Reflexionen im Exil, jedoch nicht ohne sie, wie Brecht sagte, zu 'entgipsen': Er montierte die Texte zum Teil um und tropierte sie mit Texten anderer Herkunft - ein Verfahren, das man aus jüngster Vergangenheit von Nonos Prometeo her kennt. Musikalisch steht die Liedersammlung in der grossen romantischen Liedtradition, doch in ihrer Tendenz zur Reduktion der Mittel und der Verknappung des Ausdrucks sind sie Teil jener Moderne, die durch Krieg und Faschismus aus Europa vertrieben wurde und von uns erst wieder entdeckt werden muß.
© 1999 Max Nyffeler
Deutsche Symphonie op. 50. Vokalsolisten, Rundfunkchor Berlin, Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin, Ltg. Max Pommer. (Berlin Classics 0093262BC)
Irmgard Arnold singt Eisler (Berlin Classics 0093372BC)
Kammermusik. Div. Solisten und Ensembles (Berlin Classics 0093542BC, 2 CDs)
Roaring Eisler. Suiten Nr. 2-5, Balladen und Lieder. Ensemble Modern, Solist und Leitung: HK Gruber (BMG 74321 56882 2)
The Hollywood Songbook. Mathias Goerne, Bariton; Eric Schneider, Klavier. (Decca 460 582-2)
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(3.11.1999)