Im 20. Jahrhundert ist eine neue Art von musikalischen Einrichtungen entstanden: Institute und Archive, die sich der Pflege des Nachlasses von Komponisten widmen. Ihre Gründung war einerseits die Folge eines Bewußtseinswandels; man erblickte darin eine Möglichkeit, durch systematisches Sammeln und Ordnen der Quellen eine Tradition der Moderne zu sichern. Andererseits war es ein Reflex auf die geänderten ökonomischen Voraussetzungen: Die durch ein autorenfreundliches Urheberrecht ermöglichten Tantiemen-Einkünfte schufen bei den Rechtsnachfolgern der Komponisten einen Kapitalstock, aus dem sich eine Nachlasspflege ohne weiteres finanzieren ließ. Allerdings sind längst nicht alle Erben bereit, einen Teil ihrer Einkünfte dafür abzuzweigen. An ihrer Stelle engagieren sich oft lokale oder nationale Geldgeber, wissenschaftliche Institutionen oder schlicht enthusiastische Einzelpersonen für diese für die Zukunft wichtigen Aufgaben.
Es gibt weltweit Dutzende solcher
Institute. Kontakte untereinander hatten sie bisher nicht. Hans Jörg
Jans, der rührige Leiter des Orff-Zentrums München hat nun erstmals
versucht, einen Informationsaustausch unter ihnen zustande zu bringen.
Unterstützt vom Goethe-Institut lud er Anfang Juli Vertreter von einunddreißig
dieser Organisationen zu einer Tagung nach München. Mit der Sacher-Stiftung
Basel, der Getty Research Library Los Angeles und der Stiftung Archiv der
Akademie der Künste Berlin saßen außerdem drei Institutionen
mit am Tisch, die Nachlasspflege in großem Stil betreiben, sowie
zwei nationale MICs: das British Music Information Centre London und das
Centre de documentation de la musique contemporaine, Paris.
Was heißt
"den Nachlass pflegen" konkret? Obwohl jede Institution ihre eigenen, durch
Inhalte und Organisationsform bestimmten Ziele und Arbeitsmethoden hat,
sind die Aktivitäten doch immer wieder ähnlich: Sammeln und Aufarbeitendes
Quellenmaterials, Kooperation mit Verlagen bei der Edition, Ausrichtung
von Konzerten, Symposien und Ausstellungen, Publikation von Werkverzeichnissen
und anderen Dokumentationen. Nicht alle, das zeigten die informativen Kurzreferate
und Diskussionen in München, können sich dabei auf das sichere
Fundament eines eigenen Autographenbestands verlassen, und längst
nicht alle Institute werden von den Tantiemen der Komponisten gespeist,
für deren Nachruhm sie arbeiten. Zum Beispiel das Richard Strauss
Institut in Garmisch-Partenkirchen, das das von einer alten Fan-Gemeinde
geprägte Bild des Komponisten schrittweise von Konventionen und Klischees
zu reinigen beabsichtigt: Es erhält von den Tantiemenmillionen, die
an die Erben fließen, gerade ein paar Brosamen und wird zur Hälfte
von Subventionen getragen; es besitzt noch nicht einmal die Autographe.
Ähnlich das 1998 in Wien gegründete Krenek Institut oder die
Hanns Eisler Gesellschaft in Berlin. Die Witwen und Waisen wollen schließlich
nicht verhungern...
Zu den Instituten,
die über gesicherte Tantiemeneinkünfte oder feste Subventionen
oder beides zusammen verfügen, gehören etwa die Weill Foundation,
das Arnold Schönberg Center oder das Hindemith-Institut. Eine singuläre
Existenzbasis besitzt das gastgebende Orff-Zentrum: es besitzt den Rang
eines bayerischen Staatsinstituts hat und wird vom Staat voll finanziert.
Diese sind gleichsam die Rolls Royces unter den Komponisteninstituten.
Sie haben ihre eigenen Räume und sind in der Lage, wissenschaftliche
Publikationen und Tagungen zu produzieren, Studienzentren zu unterhalten
und manchmal sogar Stipendien zu vergeben. Als kleines, aber mustergültig
eingerichtetes Institut kann hier auch das Archivio Nono in Venedig erwähnt
werden, das in unaufwendig gestalteten, aber attraktiven Räumlichkeiten
am Geburtsort des Komponisten angesiedelt ist und allen Interessierten
zu Forschungszwecken offensteht.
Auf der andern
Seite gibt es die "Fahrradfahrer": Eine Schreker-Gesellschaft, die mit
Sitz in Paris bis heute mit wenig Erfolg um die Rehabilierung des von den
Nazis in die Vergessenheit gestoßenen Franz Schreker kämpft,
ein Szymanowski-Museum in Zakopane, das mit bescheidenen Mitteln das Andenken
an den Komponisten wach hält, ein Centre de documentation Claude Debussy,
das sage und schreibe jahrzehntelang ohne feste Adresse war und in ganz
Frankreich herumgeschubst wurde, eine Satie-Stiftung mit einem Archiv,
das seine Organisationsscheu offenbar vom Namensgeber geerbt hat. Solche
Institutionen hängen oft nur von der Initiative einer einzigen Person
ab und sind auf die Begeisterung und den Idealismus der Zuarbeiter angewiesen,
die die musikwissenschaftliche oder publizistische Kärrnerarbeit machen.
Viele Komponisteninstitute,
zumal in Nord- und Mitteleuropa, spielen in ihrem Land eine bedeutende
kulturpolitische Rolle. Die dänische Nielsen-Stiftung beispielsweise
finanziert aus den Tantiemen nicht nur die Nielsen-Gesamtausgabe, sondern
schüttet alle 2-3 Jahre noch rund 125.000 DM an Preisen und Fördergeldern
an junge Komponisten aus. Das 1965 gegründete finnische Sibelius-Institut,
das maßgeblich an der bei Breitkopf & Härtel erscheinenden
Sibelius-Gesamtausgabe mitwirkt, schuf mit dem Großprojekt in Finnland
die Grundlagen und das Knowhow für eine moderne kritische Editionspraxis.
Die schon 1975 gegründete Martinu-Stiftung konnte nach klugen juristischen
Schachzügen der Witwe 1995 in Prag ein Studienzentrum gründen,
das mit den Tantieme-Einkünften Initiativen entfaltet, die weit über
die Martinu-Pflege hinaus gehen.
Dass die Daseinsberechtigung
der Komponisteninstitute sich nicht im Engagement für die Werke des
Namenspatrons erschöpfen muss, lehrten die Ausführungen englischer
Teilnehmer. Der Ralph Vaughan Williams Trust steckt sein Geld vorwiegend
in die Herstellung von Tonträgern mit englischer Musik und legt dabei
das Schwergewicht auf die Förderung vergessener Komponisten von Rang
und des Nachwuchses; der William Walton Trust engagiert sich in England
in der Musikerziehung und führt auf Ischia, wo Walton eine Villa mit
Grundstück hinterließ, Meisterkurse durch.
In solchen Aktivitäten
zeigt sich eine kulturelle und auch soziale Verantwortung gegenüber
Gemeinschaft und Nachwelt, die ja durchaus im Sinne der Schöpfer und
ihrer Kunstwerke ist. Bei manchen, gerade den gutdotierten Instituten scheint
das zugunsten der Durchsetzung des "eigenen" Komponisten in den Hintergrund
zu treten. Bei dem von Jürg Stenzl geleiteten Schluss-Symposium wurde
dieser Aspekt nochmals betont, und zwar von zwei Polen, die aus der Perspektive
des institutionell unbelasteten Beobachters urteilten: der Komponistin
Bettina Skrzypczak (Basel) und dem Musikwissenschaftler Antoni Buchner
(Berlin). Bei der Pflege eines Komponistennachlasses, so ihr Tenor, geht
es nicht primär um Promotion und mehr Präsenz am Markt, sondern
um die lebendige Tradition eines Geistes, der sich in den Werken materialisiert
hat, zum Nutzen der nachfolgenden Generationen.
Die Tagung wurde
von den Teilnehmern als hoch motivierend empfunden. Auch als überfällig,
wurde doch die Notwendigkeit einer besseren Information und Koordination
von allen erkannt. Bei der vom Gastgeber Jans angesprochenen Organisationsfrage
hielt man sich aber dann bedeckt; die Investition von Zeit und Geld scheinen
die meisten zu scheuen. Immerhin: Man schlug weitere Treffen vor, angesprochen
wurde auch eine einfache Internetseite mit Links zu den Instituten.
Zur Tagung stellte
das Orff-Zentrum eine vorbildliche Dokumentation
über die beteiligten Institute zusammen, die wesentliche Anstöße
für weiterführende Aktivitäten gibt. Im Anschluß an
die Tagung hat sich aus den Reihen der Teilnehmer auch eine Projektgruppe
gebildet, die die Koordination zwischen den Instituten vorantreiben will
und eine Internet-Präsenz
aufbaut.
© 2000 by Max Nyffeler
Liste der teilnehmenden Institute / List of the participating Institutes