Nachruf auf Paul DessauZum Tod des Komponisten am 28. Juni 1979"Die Nationalsozialisten konnten Wagner und Beethoven für ihre unseligen Zwecke ausnutzen; eine Jupitersinfonie war dazu nicht geeignet. Hier sehe ich ein Kriterium für ganz große Musik." Dies schrieb Paul Dessau 1963 und erinnerte an den auf Beethoven gemünzten Ausspruch Brechts und Eislers, wie unsinnig es sei, die von Napoleon verlorenen Schlachten noch einmal in Musik gesetzt zu hören. Es ist nur scheinbar paradox, dies aus dem Munde eines Komponisten zu vernehmen, der mit seinen Brechtvertonungen zu den bedeutendsten deutschen Komponisten auf dem Gebiet der politisch engagierten Musik unseres Jahrhunderts gehörte. Die beiden Extreme einerseits "autonome", andererseits politisch-funktionale Komposition belegen nur die Breite der Interessen eines Musikers, der sich gleichzeitig als Künstler und als engagierter Zeitgenosse verstand. Auch verrät der Ausspruch eine untergründige Skepsis gegen vorschnelle Politisierung der Musik durch programmatische Jubelsinfonik, wie sie in Dessaus Heimat, der DDR, lange genug betrieben wurde. Paul Dessau, der am 28. Juni starb, kam 1894 in Hamburg zur Welt. Er lernte Geige, spielte mit vierzehn Jahren bereits alle Konzerte von Mozart und wechselte dann zum Dirigieren über. Die Stationen seiner beginnenden Karriere waren das Hamburger Opernhaus, dann Köln, wo er 1919-23 zusammen mit Steinberg Assistent von Otto Klemperer war, Mainz und schließlich die Städtische Oper Berlin. In Berlin, der unruhigen politischen und kulturellen Metropole, wandte er sich vom Theater ab und schrieb Musik für den Film und für Arbeiterchöre. 1933 emigrierte er nach Paris, sechs Jahre später in die USA. Hier lernte er 1942 Brecht kennen, und nun entwickelte sich eine langjährige und fruchtbare Zusammenarbeit. Das Ergebnis waren zahlreiche Bühnenmusiken, Kantaten, Songs und Kinderlieder sowie die beiden Opern Puntila und Die Verurteilung des Lukullus. 1948 kehrte Dessau nach Deutschland zurück in den östlichen Teil, die spätere DDR, was ihm, ähnlich wie, Brecht, von westlicher Seite anfänglich mit Boykott vergolten wurde. Die DDR lohnte ihm seine Treue mit der Mitgliedschaft in der Deutschen Akademie der Künste und dreifacher Verleihung des Nationalpreises. Sein Verhältnis zu Staat und Partei war zwar von Loyalität, aber nicht von Unterwürfigkeit gekennzeichnet. Besonders in den letztenJahren hielt er mit Kritik an Stagnationserscheinungen im Musikbetrieb der DDR nicht zurück. Kritik konnte er sich leisten, galt er doch schon zu Lebzeiten als eine Art lebendes Denkmal nicht nur seiner selbst, sondern auch einer ganzen bewegenden Epoche. Kaiserreich, Weimarer Republik, Faschismus, Emigration, die heutige Realität zweier deutscher Staaten, dazu zwei Weltkriege haben sein Leben geprägt und in seinem Werk unverwischbare Spuren hinterlassen. In den kulturpolitischen Auseinandersetzungen warf er nötigenfalls, seine ganze Autorität in die Waagschale, um dem Komponistennachwuchs, der ästhetisch Neues wagte, gegen Vorurteile und Misstrauen zaghafter Verbandsfunktionäre Schützenhilfe zu leisten. "Da hat mir der alte Dessau geholfen", ist eine Wendung, die in den vergangenen Jahren mehr als einmal von jüngeren Komponisten der DDR zu hören war, wenn sie von den Schwierigkeiten mit der Kulturund Parteibürokratie erzählten. Der alte Dessau wird ihnen nun zweifellos fehlen. © Max Nyffeler Dieser Nachruf ist erschienen im Kölner Stadt-Anzeiger vom 30. 6.1979 Dossier Paul Dessau
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