Die Oper Einstein von Paul DessauZur westdeutschen Erstaufführung bei den Ruhrfestspielen 1980 in RecklinghausenDie bundesdeutsche Erstinszenierung von Paul Dessaus Oper Einstein, der Beitrag des Gelsenkirchener Musiktheaters zu den diesjährigen Ruhrfestspielen in Recklinghausen, hat die Lebensfähigkeit dieses Stücks bekräftigt, das nach seiner Uraufführung 19174 in Ost-Berlin bisher kaum nachgespielt worden ist. Dessau und sein Librettist Karl Mickel wollten keine biographische Oper schreiben, sondern ein "Zeitstück", das eine alte Problematik die politische Verantwortung des Wissenschaftlers am Beispiel des berühmten Physikers mit den Mitteln des Musiktheaters darstellt. Ihre Aktualität lässt sich im Zeitalter von Massenvernichtungswaffen und Hochrüstung nicht bestreiten. Die Umsetzung des kopflastigen Themas gelang den Autoren erstaunlich gut. Viel Farbe liefert der zeitgeschichtliche Hintergrund mit Naziaufmärschen und Bücherverbrennung, Krieg und Atombombenabwurf über Hiroshima. Auch die volkstheaterhaften Intermezzi mit Hanswurst, Gendarm und Krokodil, burleske Gleichnisse vom (begrenzten) Willen des Volkes, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, tragen zur Auflockerung bei. Die Recklinghäuser Inszenierung unterstrich mit einem spielerischen Zug gerade diese Elemente, was dem Stück gut bekam. Zentrale Stellen wie die Zündung der Atombombe über Hiroshima oder Einsteins Entschluss, seine letzte Formel zu verbrennen, um die Menschheit vor noch größerem Schaden zu bewahren, nimmt der Regisseur Jaroslav Chundela durch Aussparung der Mittel in ein wohltuendes Antipathos zurück, ohne die Wirkung zu schmälern. Andererseits nutzt er die Gelegenheiten zur polemischen Attacke kräftig aus. Hitler zum Beispiel, in Frack und Lederhose gekleidet, zappelt wie ein neurotisierter Affe über die Bühne. Carl Friedrich Oberles Bühnenausstattung stellte für das die Spielorte auf der offenen Bühne vielfach wechselnde Geschehen einfache, doch aussagekräftige Materialien bereit, die zielstrebige Umbauten ermöglichten. Der montageähnliche Aufbau der meist sehr kurzen Bilder und die szenische Mobilität unterstreichen den epischen Charakter der Vorlage. In dem Verfahren zeigt sich auch eine strukturelle Verwandtschaft zur oft lapidaren Technik des Zitierens und der Schichtung unterschiedlicher musikalischer Elemente. Dessau vereinigte Werk- und Stilzitate von Bach bis zum Negro Spiritual mit zeitgenössischer Musiksprache zu einem Gesamtklang, der nie überladen wirkt. Joshua Hecht als Einstein war ein stimmlich prägnanter und in der Sache engagierter Hauptdarsteller. Unter der Leitung von Uwe Mundt bot das Gelsenkirchener Ensemble bis in die vielen Nebenrollen des personalaufwendigen Stücks hinein eine vorzügliche Gesamtleistung. Die Aufführung ist ein großer Pluspunkt in der nicht immer unanfechtbaren Programmbilanz der Ruhrfestspiele. © Max Nyffeler Diese Rezension ist erschienen im Kölner Stadt-Anzeiger vom 19.6.1980 Dossier Paul Dessau
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