Mai 2006

Der Mäzen

Wenn es dieser Staat nicht bezahlen kann, dann bezahle ich es eben selbst, soll er manchmal gesagt haben, wenn die Subventionen für die Musikhochschule, deren Direktor er war, nicht im erwünschten Maß flossen. Und die Schlagzeuger des städtischen Sinfonieorchesters erhielten auf die diskrete Bemerkung, es fehlten ihnen für die bevorstehende Uraufführung einige wichtige Instrumente, von ihm zur Antwort: Warum haben Sie das nicht schon bestellt? Wobei die Rechnung selbstverständlich an ihn ging.

Märchen aus tausendundeiner Nacht? Keineswegs, sondern Geschichten aus dem musikalischen Alltag der Stadt Basel zu Lebzeiten von Paul Sacher. Der Mäzen, Dirigent und Organisator, der in diesen Tagen hundert Jahre alt geworden wäre, pumpte Millionen nicht nur in das städtische Musikleben, sondern auch in das zeitgenössische Komponieren. Die Empfänger seiner Kompositionsaufträge waren Bartók und Strawinsky, Honegger und Huber, Holliger, Rihm und viele andere. Über zweihundert Werke hat er bezahlt und uraufgeführt.

Das Geld zweigte er von der Firma ab, die zu großen Teilen seiner Frau und ihm gehörte, dem Chemiekonzern Hoffmann La Roche. Mancher nahm es gern und distanzierte sich zugleich diskret vom Spender: Mit Chemie will ich meine Kunst nicht beschmutzen! Als vor zehn Jahren das Basler Tinguely-Museum eröffnet wurde, sagte der Neunzigjährige den Journalisten selbstironisch ins Mikrofon: „Natürlich wird keiner die Firma Roche dafür loben, dass sie mit der Finanzierung dieses Museums die Tradition der alten Fürsten und Kardinäle weiterführt. Das ist höchst unpopulär. Darum sag’ ich es jetzt wenigstens einmal.“

Seit sieben Jahren ist der milliardenschwere Mäzen tot. Seine Nachfolger widmen sich der Förderung des Fußballs, seine Impulse auf das Basler Musikleben haben sich verlaufen, Aufträge vergibt die Sponsorenabteilung der Firma heute nur noch bei entsprechendem Glamoureffekt. Einige seiner Kreationen wie die Paul Sacher Stiftung mit ihrer Autographensammlung haben sich immerhin gut erhalten.

Das personelle und institutionelle Netzwerk, das Sacher – zunächst lokal, dann international – meisterhaft zu knüpfen wusste, hat Risse bekommen. Reste davon sind etwa in den Querverbindungen zur Siemens-Musikstiftung noch zu besichtigen, wo er lange Kuratoriums- und Ehrenvorsitzender des Stiftungsrats war. Auf ihn geht die Tradition zurück, dass die Komponisten, deren Partituren seine Stiftung aufbewahrt, bis heute mit schöner Regelmäßigkeit auch bei Siemens zum Zug kommen. Die besten Namen sind längst abgehakt – mit Ausnahme von Klaus Huber. Aber der ist wohl zu politisch. Angesichts des bedeutenden Alterwerks des Komponisten wäre Sacher heute wohl der letzte, der sich einer solchen Ehrung widersetzen würde – er hatte einen Blick  für künstlerische Qualität. Seinen Nachfolgern hingegen scheint der nötige Mut zu fehlen.

Das hat der Mäzen den heute in der Kulturförderung dominierenden „Beauftragten“, den stolzen „Delegierten“ und emsigen „Vertretern“ voraus: Er braucht vor niemandem Angst zu haben, denn er handelt auf eigenes Risiko. Die heutigen Funktionsträger in den Fördergremien müssen es immer allen recht machen: dem finanziellen Träger (respektive dessen „Vertretern“), der Institution, die sie delegiert, den ihrerseits in einem Interessengeflecht gefangenen Gremienkollegen, der kritischen Öffentlichkeit. Selbstverständlich ist dabei stets von der „völligen Unabhängigkeit der künstlerischen Entscheidung“ die Rede. Und für die (Fehl-) Entscheidungen ist letztlich keiner richtig verantwortlich. Man kennt das aus Wirtschaft und Politik.

Am meisten Freiheit können sich noch diejenigen herausnehmen, die als Vertreter einer potenten Institution oder ad personam – als Honoratioren, verdiente Lehrer- und Künstlerpersönlichkeiten – in ein Gremium berufen werden: Sie nutzen die Gelegenheit zur zielgerichteten Förderung ihrer Schützlinge oder um dem Favoriten ihres nächsten Festivals einen werbewirksamen Vorab-Preis zuzuschanzen. Der Methode ist zumindest Zweckrationalität nicht abzusprechen.

Aber wie soll ein Fördersystem, das sich als Ausdruck des Willens bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder sogar der demokratischen Allgemeinheit versteht, auch anders aussehen? Hier der Zwang zum Einpegeln auf konsensfähige Mittelwerte, dort die nur schlecht verhehlte Günstlingswirtschaft oder die Entscheidung auf der Basis von Corporate Governance und Marktgesetzen. Ein Beigeschmack haftet jeder Entscheidung an.

Da hat es der Mäzen einfacher. Selbstverständlich setzt auch er auf seine persönlichen Favoriten oder die verschwiegenen Empfehlungen seiner Gewährsleute. Aber es ist seine private Angelegenheit, und darum ist er der Öffentlichkeit keine Erklärung schuldig – umso mehr, als er seine Taten nicht an die große Glocke hängen will. Manch eingefleischtem Demokraten mag das als elitäre Anmaßung erscheinen. Doch wie große Kunst immer nur von Einzelnen gemacht worden ist,  ist vermutlich auch die nachhaltigste Förderung immer nur von Einzelnen ausgegangen. Der alte Sacher war dafür ein Beispiel.

© 2006 Max Nyffeler. Der Text darf ohne Erlaubnis des Autors nicht weiter verwertet werden.
Siehe auch das Portrait Paul Sacher.

Zur Themenliste

 

Home Neue Musikzeitung NMZ