Das Orchestre Philharmonique du LuxembourgEin Orchester rüstet sich für die Zukunft
"Ce sont les couleurs du Luxembourg qu'ils défendent", kommentierte der künstlerische Leiter Olivier Frank die internationale Konzertreise des Orchesters, die es im April 2003 nach Österreich, Kroatien, Norditalien und Deutschland führte. Seit einigen Jahren ist man im Großherzogtum darauf bedacht, vom Image des schnöden Finanzplatzes etwas wegzukommen. Was würde sich dazu besser eignen als die Kultur? Denn wenn die Philharmoniker aus Luxemburg im Wiener Musikvereinssaal auftreten, geht es nicht nur um die Demonstration musikalischer Konkurrenzfähigkeit und die Steigerung des Selbstvertrauens des Orchesters, sondern auch ein wenig um nationale Werbung: um die kulturelle Selbstdarstellung eines Ländchens, das, auf der Landkarte irgendwo zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland eingeklemmt, meist nur als entfernter Sitz europäischer Institutionen und als clever verwaltete Steueroase wahrgenommen wird. Diese kulturpolitische Interessenlage dürfte zusammen mit dem allgemeinen Wohlstand ein Grund sein für die beneidenswert guten Bedingungen, unter denen das Orchester derzeit arbeitet. Schon jetzt besitzt es ein künstlerisches Niveau, das den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht und sogar Züge des Außergewöhnlichen trägt, zieht man die Größe des Landes und seiner kulturellen Ressourcen in Betracht. Luxemburg hat die gleiche Fläche wie das Saarland, ist von der Bevölkerung her mit rund 450 000 Einwohnern aber nicht einmal halb so groß. Ein zusätzlicher Entwicklungssprung steht dem Orchester für 2005 bevor: Dann wird an der Place de l'Europe der neue Konzertsaal eröffnet, den Christian de Portzamparc, der Architekt der Pariser Cité de la Musique, entworfen hat. Das Orchester, das bisher im Saal des Konservatoriums mit sechshundert Sitzen auftrat, wird dann einen Raum bespielen, der zweieinhalb Mal soviel Publikum fasst. Gegründet wurde das Orchester 1933 von Radio Luxemburg. Jahrzehntelang leistete es als privatrechtlich geführtes RTL-Sinfonieorchester seine Dienste in den Medien und in öffentlichen Konzerten, bis es 1996 vom Großherzogtum übernommen und in eine Stiftung überführt wurde. Am Jahresbudget 2003 von zwölfeinhalb Millionen Euro beteiligt sich der Staat mit zehn Millionen. Weitere 580 000 Euro kommen von der Hauptstadt, die restlichen zwei Millionen werden eingespielt oder von Sponsoren bezahlt. Damit lässt sich einiges anstellen. Zwei große und zwei kleine Aboreihen mit insgesamt 22 Konzerten standen in der Saison 2002/2003 auf dem Programm, dazu Sonderkonzerte, regionale Abstecher nach Brüssel, Utrecht, Lüttich, Aachen und ins Saarland, eine Kammermusikreihe, eine große internationale Tournee sowie Platteneinspielungen. Unbekannte Repertoireperlen Das klassisch-romantische Standardrepertoire, mit dem sich der Saal noch immer am leichtesten füllen lässt, nimmt zwar einen gewichtigen Platz ein, ist aber nur ein Schwerpunkt von mehreren. Für das an der Grenzlinie von romanischer und deutscher Kultur angesiedelte Orchester ist die französische Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ebenso wichtig. Dabei geraten auch Komponisten, die im Schatten eines Saint-Saëns oder Debussy standen, ins Blickfeld: etwa die Bretonen Jean Cras, dessen 1918 vollendete Oper "Polyphème" nun als CD-Produktion erscheint, und Joseph-Guy Ropartz, ein Schüler von César Franck und literarisch-musikalische Doppelbegabung, der 1955 hochbetagt starb. Von Ropartz produzierte das Orchester bereits zwei Platten: die Oper "Le Pays" und sinfonische Dichtungen und Orchesterlieder eine Musik des weiten Atems und der lyrischen Aufschwünge, die vom Orchester unter der Leitung des Ersten Gastdirigenten Emmanuel Krivine klangschön zur Geltung gebracht wird. Einen dritten Zweig des Konzertrepertoires bildet die gemäßigte Moderne mit Werken von den französischen Neoklassizisten bis zu William Walton, von Skrjabin bis Strawinsky. Mit dem neuen Chefdirigenten, dem Engländer Bramwell Tovey, wird in Zukunft auch die große Sinfonik von Bruckner bis Sibelius sowie die englische Literatur mehr gepflegt werden. Siebzehn Nationalitäten unter einem Dach Die Letzeburger Philharmoniker sind ein junges Orchester mit einer offenen Mentalität und ohne Scheuklappen, was neues Repertoire angeht. Das schlägt sich nicht nur in einem unangestrengt präzisen Klangbild nieder, sondern auch im unkomplizierten-sachlichen Umgangston, der bei den Proben herrscht. Das Durchschnittalter der Musiker beträgt rund 35 Jahre, von ihrer Herkunft her sind sie bunt zusammengewürfelt. Nicht weniger als siebzehn Nationalitäten sind unter den 94 Orchestermitgliedern vertreten. Neben den Einheimischen sind es vor allem Franzosen, Belgier und Deutsche, manche von ihnen Pendler aus den Nachbarregionen. Das bringt zweifellos eine gewisse Heterogenität der ästhetischen Auffassungen mit sich, und im Vergleich mit dem unverwechselbaren Stil der großen Traditionsorchester mag das Klangbild leichtgewichtiger erscheinen. Der Vorteil ist aber eine stilistische Flexibilität und Offenheit, die man in Wien, Amsterdam oder Leipzig vergebens suchen würde. Dass das nicht auf Kosten des "eigenen Tons" zu gehen braucht, zeigen die Einspielungen der französischen Orchesterwerke. Medienpraxis und Gegenwartsmusik Diese Beweglichkeit kommt vor allem den zahlreichen Plattenproduktionen zugute, mit denen sich das Orchester seit einigen Jahren auch als Medienorchester profiliert. Es legt mit seinen Einspielungen ein resolutes Kontrastprogramm zum marktgängigen Angebot vor und hat dafür im Pariser Kleinlabel Timpani einen engagierten Produzenten gefunden. Neben randständigen Erscheinungen wie Cras und Ropartz findet man darin weitere Namen der klassischen Moderne wie etwa Gabriel Pierné. Die Aufnahme seines Balletts "Cydalise et le Chèvre-pied" mit dem verstorbenen Chefdirigenten David Shallon errang gleich vier Preise, darunter den Cannes Classical Award 2002. Darüber hinaus erobert das Orchester Neuland mit einer radikal gegenwartsbezogenen Produktlinie. Den Beginn machten drei CDs mit Werken des 1992 verstorbenen Franzosen Maurice Ohana, gefolgt von einer Dreierserie mit Orchesterwerken von Iannis Xenakis. Eine erste Platte von Klaus Huber erscheint demnächst. Arturo Tamayo ist der ebenso kompetente wie motivierende Dirigent all dieser Aufnahmen. Treibende Kraft hinter dieser Initiative ist Benedikt Fohr, der vor zwei Jahren zum Directeur Général des Orchesters ernannt wurde und sich neben der administrativen Arbeit auch an der Programmierung beteiligt. Seine früheren Erfahrungen mit dem Freiburger Ensemble Recherche und der Camerata Academica Salzburg bringt er nun in Luxemburg ein, indem er die Gegenwartsmusik fördert und die Auslandkontakte ausbaut beides Aktivitäten, die das Profil eines Orchesters dieser Größenordnung nachhaltig zu schärfen vermögen. Wechsel auf die Zukunft Außerdem will Fohr durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit dem Orchester neue Publikumsschichten erschließen. Im Blick hat er vor allem das Publikum von morgen: die heutigen Schulkinder. Die Orchestermusiker gehen neuerdings in die Schulen, um die Stücke im Musikunterricht vorzustellen und die Kinder mit den Instrumenten vertraut zu machen. Die Familienkonzerte für Eltern und Kinder sind ausverkauft, und ein Malwettbewerb, der als Feedback ausgeschrieben wurde, erbrachte in diesem Frühjahr fast vierhundert Einsendungen. Der Nutzen solcher Aufbauarbeit ist nur langfristig messbar. Doch als Wechsel auf die Zukunft ist sie für das Orchester ebenso wichtig wie ein unverwechselbares Repertoireprofil, Medienerfahrung und Mobilität Eigenschaften, die sich heute jedes Sinfonieorchester antrainieren muss, will es auf dem enger werdenden Klassikmarkt überleben. Wenn die Philharmoniker in zwei Jahren in den neuen Konzertsaal umziehen, werden sie jedenfalls etwas vorzuzeigen haben. © 2002 Max Nyffeler Interpreten Übersicht |