Der blinde Liszt-Virtuose

Der Van Cliburn-Wettbewerb in Texas mit dem einzigartigen Nobuyuki Tsujii

Tränen, Jubel, Nervenkrieg: Das ist der Stoff, aus dem die Musikwettbewerbe sind. Der alle vier Jahre im texanischen Fort Worth stattfindende Van Cliburn-Klavierwettbewerb macht da keine Ausnahme. Sein internationales Renommee ist hoch, und entsprechend streng sind die Anforderungen an die Kandidaten. Wie in diesem dreiwöchigen Stresstest die Spannung von Runde zu Runde steigt und der Adrenalinspiegel Rekordhöhen erreicht, hat der amerikanische Musikfilmregisseur und -produzent Peter Rosen mit ebenso viel Scharfblick wie Sensibilität beobachtet. Er fragt die Teilnehmer nach ihren Motiven und Erwartungen, nimmt sachte an ihrem tranceähnlichen Ausnahmezustand teil und zeigt das Wechselbad der Gefühle, das sie durchleben: die Geborgenheit in der Gastfamilie, die Backstage-Nervosität vor dem Auftritt und den alles entscheidenden Moment im Scheinwerferlicht am Klavier, wenn sie sich den Pokerface-Gestalten der Jury und dem sensationslüsternen Publikum ungeschützt ausliefern.

Eine Hauptfigur der Dokumentation ist der blinde zwanzigjährige Japaner Nobuyuki Tsujii. In der Nervenhölle des Wettbewerbs erspielte er sich 2009 mit traumwandlerischer Sicherheit den ersten Preis, ex aequo mit dem Chinesen Haochen Zhang. Von Mozart über Paganinis Campanella-Etüde bis zum Klavierkonzert von Tschaikowsky sieht man ihn, wie er blicklos am Flügel sitzt und alles intuitiv richtig macht. Das Publikum quittiert diese Leistung mit Standing Ovations und blankem Erstaunen. Der altersweise Menahem Pressler, Gründer des berühmten Beaux Arts Trios und Wettbewerbsjuror, findet im Interview die richtigen Worte, um das Unbegreifliche begreiflich zu machen. Richtige Kunst, erklärt er, ist eben doch mehr als geschäftsmäßige Materialbeherrschung und Fingerfertigkeit, sondern hat etwas mit einer besonderen Gabe zu tun, die sich nicht antrainieren lässt. In einem solchen Moment der Reflexion weicht die circensische Betriebsamkeit, die die Musikwettbewerbe kennzeichnet und die hier atmosphärisch konzentriert eingefangen ist, einen Moment lang dem Innehalten. Ein bewegender Höhepunkt in einem an großen Emotionen reichen Film.

© Max Nyffeler 9/2011

DVD: A Surprise in Texas. Der Internationale Van Cliburn Klavierwettbewerb 2009. Dokumentarfilm von Peter Rosen / 141 min. / EuroArts 2058168 (1 DVD)

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