Leonard Bernsteins "Trouble in Tahiti"

Tom Cairns inzeniert die fiese amerikanische Kleinbürgeroper als Musikfilm

CoverLeonard Bernsteins Kurzoper Trouble in Tahiti führt uns zurück in das Amerika der 1950er Jahre, als die Straßenkreuzer glitzerten, die Petticoats raschelten und die Welt, vom Koreakrieg und andern Kleinigkeiten einmal abgesehen, auch sonst noch in Ordnung war. Uraufgeführt 1952 an der Brandeis University in Massachusetts, wo Bernstein damals unterrichtete, bildet sie eine Momentaufnahme nicht nur des damaligen Alltagslebens, sondern auch seiner eigenen Biografie. Er hatte gerade seine von Anfang an problematische Ehe mit Felicia Montealegre geschlossen, künstlerisch schwankte er zwischen Broadway und Konzertsaal.

Im Einakter hat sich diese Orientierungssuche formal als hochinteressante Zwitterform zwischen Musical, Musikfilm und Oper, inhaltlich als ätzende Kritik am american way of life niedergeschlagen. Gezeigt wird das triste Innenleben einer amerikanischen Ehe mit Fernseher, Kind und vollautomatischer Küche im putzigen Vorort-Einfamilienhaus: Der Mann ein kleiner Bürokarrierist, seine Frau das Opfer, das den Psychotherapeuten frequentiert und sich in der Hollywoodschnulze Trouble in Tahiti Abwechslung vom schalen Alltag erhofft – Medienplunder als Realitätsersatz. Der kritische Realismus von Bernsteins Stück verrät eine Nähe zu Arthur Miller. Mitarbeiter am Libretto und Widmungsträger des Stücks war Marc Blitzstein, Eisler-Freund, Übersetzer von Brechts Dreigroschenoper und Komponist der politischen Revue The Cradle Will Rock, die schon 1937 die Zensur gegen sich aufgebracht hatte.

Die englische Produktion von 2001 situiert das Stück visuell genau im Fünfzigerjahre-Milieu, durchsetzt es aber mit Elementen der heutigen Alltagskultur. Damit erhält die fiese Kleinbürgerstory etwas zeitlos Gegenwärtiges. Tom Cairns inszenierte die psychologische Fallstudie mit den Mitteln eines filmischen Realismus, in dem sich Innen- und Außenaufnahmen abwechseln und der durch elektronische Montagen und spielerische Einfälle immer wieder gebrochen wird. Der von Bernstein/Blitzstein gleichsam brechtisch eingesetzte, satirisch-kommentierende kleine schubidubi-Chor wird szenisch überaus witzig integriert.

Die Musik ist sehr funktional angelegt; songhafte Elemente wechseln mit ariosen Partien und dramatischen Szenen von starker psychologischer Aussagekraft. Stephanie Novacek und Karl Daymond als frustrierte Ehepartner erfüllen ihre schwierige Aufgabe als quasi-filmisch agierende Opernsänger in hervorragender Weise, Paul Daniel ist der präzise und – wie auch das angefügte Interview mit ihm zeigt – in der Sache sichtlich engagierte Dirigent der Produktion. Ein weiteres Interview mit dem Bernstein-Biografen Humphrey Burton ergänzt die sorgfältig gemachte Edition.

© Max Nyffeler 2003

DVD: Leonard Bernstein: Trouble in Tahiti, Oper in sieben Szenen. R: Tom Cairns, ML: Paul Daniel, Choreographie: Amir Hosseinpour. / Dolby 5.1 und Stereo, / 75 Min. plus Zusatztracks (dt. Untertitel) / BBC Opus Arte, OA 0838

zurück zu DVD-Rezensionen

(Mai 2003)

Home