Alvin Ailey Dance Theatre

Ein Porträt der phänomenalen amerikanischen Truppe und ihres Leiters 

Alvin Ailey CoverDer 1989 mit 58 Jahren gestorbene Alvin Ailey gehört zu den großen Tänzern und Choreografen des 20. Jahrhunderts. Geboren in Texas, kam er mit zwölf Jahren nach Los Angeles, wo er mit dem Ballett in Berührung kam. Er tanzte erst bei Lester Horton, der ersten schwarzen Tanzcompagnie in den USA, dann ging er nach New York, wo er zunächst am Broadway auftrat, bei Martha Graham Ausdruckstanz studierte und dann 1958 seine eigenen Tanztruppe aufmachte. Das Alvin Ailey Dance Theatre wurde für den schwarzen Tanz das, was die Duke Ellington Big Band für die Musik war: ein Ort der kulturellen Selbstfindung der Afroamerikaner, wo das eigene Lebensgefühl und die eigene Geschichte einen künstlerischen Ausdruck finden konnten.

Ein 1986 in Dänemark produziertes Porträt des Alvin Ailey Dance Theatre erinnert unter anderem mit zwei charakteristischen Choreografien und einem Interview an den außergewöhnlichen Künstler und Menschen. Er wolle seine Kunst nicht für Spezialisten, sondern für alle Menschen machen, sagt er vor der Kamera, sie solle auch für seine Familie und seine Onkel und Tanten auf der  Farm in Texas verständlich sein. Und: „Die größten Kunstwerke sind immer die persönlichsten.“ Existenzielle Grundsituationen aus dem Leben der Schwarzen werden in hoher Stilisierung und mitreißender Vitalität zur Darstellung gebracht. In der Feier des menschlichen Körpers artikuliert sich ein Zug zur Vergeistigung, Bewegungfreude transzendiert zum religiös grundierten Ausdruck individueller Freiheit. In Revelations, einem Klassiker Aileys, werden zur Musik von Negro Spirituals heitere und ernste Episoden aus dem Leben der Schwarzen in den Südstaaten geschildert. Das von Deborah Manning hinreißende getanzte Solostück Cry erzählt den Weg aus Sklaverei und Unterdrückung in die Freiheit. Ailey widmete es „allen schwarzen Frauen – und besonders unseren Müttern“.

Judith Jamison, für die Ailey in den sechziger Jahren dieses Solo schrieb, wurde später seine Nachfolgerin in der Leitung der Truppe. Von ihr enthält die DVD die Choreografie Divining, ein Stück voller afrikanischer Zauberei. Dicht ineinander greifende Bewegungsmuster schreiben geheimnisvolle Zeichen in den Raum, die Solistin Elisabeth Roxas hat den Blick einer afrikanischen Maske und tanzt mit der Suggestivkraft einer Magierin. Dazu die Handtrommeln der beiden zur Truppe gehörenden Musiker Kimati Dinizulu und Monti Ellison: Noch auf der Fernsehmattscheibe gelingt es ihnen, die Geister zum Sprechen zu bringen. Es ist der ereignishafte Moment einer Kunst, die ihre Materialität überwindet und zeichenhaft eine andere Wirklichkeit heraufbeschwört. Bundesdeutsche Avantgarde, wie bist du doch arm dran.

© Max Nyffeler 2005

DVD:Alvin Ailey. An Evening with the Alvin Ailey American Dance Theatre. / PCM Stereo / 108 min. / Arthaus 100 452

(5/2005)

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