John Adams' The Death of KlinghofferEin politisch brisanter Entführungs-Thriller
In einer aufwändigen Verfilmung der englischen Regisseurin Penny Woolcock hat das Werk jetzt die Gestalt eines aufregend realitätsnahen Entführungs-Thrillers erhalten. Die Produktion der BBC rückt den dokumentarischen Aspekt konsequent ins Zentrum. Die Aufnahmen entstanden auf einem Passagierschiff, das eigens zu diesem Zweck gechartert wurde und während der Dreharbeiten im Mittelmeer zwischen Malta und Zypern kreuzte. Dank komplizierter Playbackverfahren, die in den Zusatztracks ausführlich dokumentiert sind Chor und Orchester wurden in London vorproduziert , konnten die Szenen somit gleichsam am Originalschauplatz aufgeführt und aufgezeichnet werden. An die Darsteller, die ihre Partien manchmal in voller Action, manchmal auf langen Wanderungen zwischen Kajüte, Reling und Kommandobrücke, zu singen haben, werden ungewöhnliche Anforderungen gestellt. Das Resultat ist ebenso ungewöhnlich. Entstanden ist eine Art von gesungener Reality Show zur See. Die Dramatik der Story konterkariert Adams mit einer Musik, die sich expressiv zurücknimmt und nur in wenigen, entscheidenden Momenten voll aufdreht. Momente der Nachdenklichkeit, sogar der Verinnerlichung durchbrechen den Handlungsfluss, der sich im Lauf des Stücks zunehmend zu einem Sog auswächst. Das große Innehalten nach dem Tod Klinghoffers ist genuin filmisch konzipiert. Der Gesang wirkt manchmal fast beiläufig, der ariose, leicht unterkühlte Vokalstil erhält in der Wahrnehmung unwillkürlich eine Qualität von musikalisch gefärbtem Sprechen, zumal sich die Sänger zwanglos wie Filmschauspieler bewegen. Die Grenzen zwischen Oper und Dokumentarfilm, zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Eine gewisse Brisanz erhält diese für den Film stark veränderte und von Adams autorisierte Fassung des Bühnenwerks dadurch, dass sie auf plumpe Schwarzweiß-Malerei verzichtet. Ohne sich auf ihre Seite zu schlagen, zeigen Adams und Woolcock die Verbrecher als Menschen mit widersprüchlichen Gefühlen. Die kriminelle Logik wird als Reflex auf kollektiv erlittenes Unrecht dargestellt. Dem dienen die Bilder von Gewalt und Vertreibung im Palästina des Jahres 1948, die dem eigentlichen Geschehen in Form von Spielfilmszenen vorangestellt werden. Die Schärfe dieser Bilder steht zum Geschehen auf dem entführten Schiff in einem schockierenden Widerspruch, der sich zum Schluss des Films explosiv entlädt. Gelöst wird er nicht. Aber das wäre ohnehin nicht die Aufgabe der Kunst, sondern der Politik. © Max Nyffeler 2004
(September/2004) |