Ein ernster Fall: Das Lachen in der Musik

Über die Schwierigkeit, mit Tönen lustig zu sein

Die Musik ist eine Kunst, die sich in der Zeit entfaltet. Damit ist sie in der Lage, allgemeine Lebensprozesse abzubilden, mehr noch, sie erscheint selbst als ein solcher Prozess – eine subjektive Lebensäußerung, die sich nach ihren eigenen Gesetzen entwickelt. Auch das Lachen ist eine subjektive Lebensäußerung, und von daher sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass es als eine von vielen menschlichen Ausdrucksformen in der Musik zu seinem Recht käme. Aber Lachen in der Musik? Eine ungewohnte, wenn nicht sogar irritierende Vorstellung. Sie kollidiert mit dem, was man unter „ernster Musik“ versteht, wo elementare Lebenszeichen wie der Schrei oder das Lachen, wenn überhaupt, dann nur in vielfach gefilterter, stilisierter Form wiedergegeben werden. Auch in der sogenannt unterhaltenden Musik, wo es ja eigentlich unterhaltsam und lustig zugehen sollte, findet Lachen praktisch nicht statt, es sei denn als kabarettistische Parodie; aber da  spielt dann auch das Wort eine Rolle. Das Lachen scheint in der Musik mit einem Tabu belegt.

Einer, der gerne mit Tabus spielte, war der 2008 verstorbene Mauricio Kagel. Das hängt vermutlich mit seiner Herkunft aus dem kulturellen Melting Pot Buenos Aires zusammen, wo er lernte, dass europäische Normen nicht als sakrosankt gelten. Dieses Denken brachte er 1957 nach Deutschland mit und blieb ihm bis zu seinem Tod treu. Und so spielte er auch genussvoll mit dem Lachverbot, was in der zeitgenössischen Musik, der bekanntlich eine hochgradige Humorlosigkeit nachgesagt wird, besonders auffällig wirkte. In seiner Klavierkomposition „MM 51“ beginnt der Pianist plötzlich schallend zu lachen. Es ist ein grelles, böses Lachen, nichts Heiteres oder Gutmütiges ist ihm anzuhören. Beim Zuhören beginnt man unwillkürlich auch etwas zu lachen, aber eher aus Überraschung oder Verlegenheit als aus fröhlichem Empfinden. Wirft doch dieses Lachen eines Interpreten, das den Zuhörer heimtückisch überfällt wie ein Virus und alle Konzertsaalkonventionen über den Haufen wirft, einen ganzen Komplex von Fragen auf: Wer ist das, der da lacht? Der Pianist als Herr XY, oder spielt er plötzlich eine Rolle? Wen soll er darstellen? Worüber lacht er? Über sich? Über die Musik, die er spielt? Über das Publikum? Und warum haben wir gelacht? Haben wir uns von seinem Lachen anstecken lassen, wie die Redewendung lautet? (Als ob Lachen eine Krankheit wäre.) Oder sind wir erschrocken, weil Kagels komponiertes Lachen zu gespenstisch klingt?

Angstgelächter und lol (laughing out loud)

Der Titel MM 51 ist eigentlich nichts als eine Metronomangabe: Einundfünfzig Schläge pro Minute. Es ist eine fiktive Messzahl; normal sind geradzahlige Angaben als rationale Proportionen und nicht schräge Teilungen wie drei mal siebzehn. Doch das Metronom selbst ist in buchstäblich schräger Weise Teil der Ganzen: Es tickt im Hintergrund ständig mit und wird vom Interpreten gelegentlich zum Hinken gebracht, indem er es in Schräglage bringt. Kagel bezeichnete seine Komposition im Untertitel als „ein Stück Filmmusik für Klavier.“ Ähnlich wie Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ handle es von unausgesprochenen Gefahren und Ängsten, und diese wolle er mit den Mitteln der Filmmusik ausdrücken. Damit würden vielleicht private Horrorvorstellungen beim Hörer geweckt.

Damit gibt Kagel dem Verständnis eine Richtung vor. Es handelt sich also um ein inszeniertes Lachen, das mit Angstgefühlen spielt. Das erklärt auch, warum uns das eigene Lachen im Halse stecken bleibt. Der Pfropfen, der es unter Verschluss hält, sind die widerstreitenden Gefühle und, damit verbunden, die Reflexion.

Das nächste Beispiel bildet zu Kagels verwirrender Komik einen Gegenpol. Es hat nicht mit Musik, sondern mit Sprache zu tun – es ist ein sogenannter Witz. Erzählt wurde er von einem Büttenredner in einer Fernseh-Karnevalssitzung in Köln. Und der geht so: „Kennen Sie den Unterschied zwischen frech, unverschämt und dreist? Frech ist, wenn einer in der Badehose in die Oper geht. Unverschämt ist, wenn er zur Garderobe geht und die Badehose dort abgibt. Und dreist? Dreist ist, wenn daraufhin die Garderobefrau fragt: Wollense de Knirps nit auch gleich da laasse?“

Warum lachen wir hier schneller und direkter als bei Kagel? Weil dieser Witz keine Unsicherheit schafft und damit auch keine Erklärung braucht, die sich erst mühsam ihren Weg durch die Gehirnwindungen suchen muss. Er funktioniert unmittelbar. Kagel Komik hingegen ist durch das musikalische Material vermittelt. Sein Lachen bezieht sich nicht auf einen konkreten Gegenstand, sondern steht zunächst für sich selbst. Mögliche Konnotationen erschließen sich deshalb nicht blitzartig-intuitiv wie beim Witz, wo das Lachen spontaner Ausdruck von Heiterkeit ist.

Baudelaire und das Lachen des gefallenen Engels

In seinem Aufsatz „Vom Wesen des Lachens“ unterscheidet Charles Baudelaire grundsätzlich zwei Arten von Komik: das signifikante oder verweisende Komische und das absolut Komische. Das signifikante oder verweisende Komische, das er auch das gewöhnliche Komische nennt, ist auf einen Gegenstand des Alltags, einen Menschen oder einen moralischen Gedanken – heute würde man vielleicht auch sagen: etwas Gesellschaftliches – gerichtet. Es ist reflektiert. Das absolut Komische oder das Groteske dagegen kommt nach Baudelaire der Natur näher. Es funktioniert auf unkontrollierte Weise, es stellt sich „als ein Ungeteiltes dar, das intuitiv erfasst werden will“. Und für dieses Groteske gibt es nach Baudelaire nur eine Art der Beglaubigung: „Das Lachen, und zwar das sofortige Lachen.“ Er unterscheidet dieses Lachen vom Lachen beim verweisenden Komischen: Dort sei es durchaus üblich, mit einer gewissen Verzögerung zu lachen, denn es hänge von der Geschwindigkeit des Begreifens ab.

Die beiden Arten von Komik lassen sich nicht schematisch trennen, was sich auch in den beiden genannten Beispielen zeigt. Der kölsche Karnevalswitz, bei dem das Lachen blitzartig einsetzt, gehört zweifellos mehrheitlich der Sphäre des „absolut Komischen“ an, aber es sind auch zahlreiche weiterführende Reflexionen mit im Spiel: Die Erkenntnis etwa, dass der Provokateur zum Provozierten wird, oder Spekulationen über eine versteckte Kastrationsdrohung. Andererseits Kagels Komik: Sie lässt sich dem „verweisenden Komischen“ zuordnen, scheint aber eine ziemlich vertrackte Mischung von direkten und indirekten Wirkungen zu sein.

Die zwei Arten von Komik, die Baudelaire unterscheidet, bilden eine ähnliche Polarität, wie sie später auch beim Romanisten Hans Robert Jauss auftaucht. Darauf hat Bernhard Greiner in seinem Buch über die Komödie hingewiesen. Jauss unterscheidet zwei grundverschiedene Aspekte des Komischen, je nachdem ob es „der Herabsetzung eines komischen Ideals in eine Gegenbildlichkeit oder ob es der Heraufsetzung des materiell Leiblichen der menschlichen Natur entspringt“. Beim herabsetzenden Komischen fühlt sich der Betrachter überlegen, er lacht nicht nur über den komischen Gegenstand, sondern er verlacht ihn. Das Lachen stellt einen Helden in seiner erwarteten Vollkommenheit, eine Norm in ihrer behaupteten Gültigkeit in Frage. Anders das heraufsetzend Komische: Es setzt sich über Sitten und Normen hinweg und hebt die Unterschiede zwischen den Menschen auf. Es ermöglicht die Partizipation aller, denn es erzeugt ein gemeinschaftliches Lachen und stellt eine Bejahung des Kreatürlichen dar. Im Hintergrund steht das dionysisch-orgiastische Lachen, wie es sich im historischen Phänomen des Karnevals oder in der Literatur etwa bei Rabelais zeigt und wie es unter anderem von Michail Bachtin theoretisch untersucht worden ist.

Baudelaire spinnt seinen Gedanken noch weiter. Das Komische als solches und damit das Lachen begründet er theologisch: „Fest steht, versetzt man sich auf den Standpunkt der Orthodoxie, dass das menschliche Lachen aufs engste mit der Katastrophe eines frühen Falls, einer physischen und moralischen Erniedrigung verknüpft ist.“ Von diesem Standpunkt aus gesehen – Baudelaire macht ihn sich zu eigen – ist das Lachen der Ausdruck einer unheilbaren Verletzung; in ihm spiegelt sich der Verlust des Paradieses. Es ist das irre Lachen der Kundry in „Parsifal“, das Lachen der Schurken im Film und vielleicht auch Kagels Lachen. Dem Ausdruck der reinen Freude ist es entgegengesetzt. Die Freude war, so Baudelaire, nur im Paradies möglich, dort, „wo alles Erschaffene dem Menschen zu sagen schien, dass es gut war... Sein Antlitz war einfach und ausgeglichen, und das Lachen, das heute die Völker schüttelt, verunstaltete nicht die Züge seines Gesichts“. Deshalb haben für Baudelaire Lust und Schmerz die gleiche Wurzel: „Lachen und Weinen können in dem Paradies der Wonnen nicht zum Vorschein kommen. Beide sind Kinder der Mühsal, und sie haben sich eingestellt, weil es dem Körper des entnervten Menschen an Kraft mangelte, sie zu zügeln.“

Das Lachen hat für Baudelaire folgerichtig einen satanischen Zug. Es ist das Lachen des gefallenen Engels. Wenn jemand über das Unglück eines andern lacht, dann fühlt er sich ihm zwar in diesem Moment überlegen, lacht aber im Grunde genommen über sein eigenes Elend. Er merkt nicht, dass er selbst der Narr ist. Baudelaire: „Ist es doch allbekannt, dass die Vorstellung der eigenen Überlegenheit bei allen Insassen der Irrenhäuser ins Maßlose entwickelt ist. Mir sind noch keine Narren der Demut bekannt geworden. Man beachte, dass das Lachen eine der häufigsten und zahlreichsten Äußerungen des Wahnsinns ist.“ Und  weiter: „Wo fände man wohl ein offenkundigeres Symptom für unsere Hinfälligkeit als in dieser nervösen Zuckung, diesem dem Niesen vergleichbaren unwillkürlichen Krampf, den das Unglück unserer Mitmenschen auslöst? ... Gibt es ein bedauernswürdigeres Schauspiel als die Schwachheit, die sich über Schwachheit freut?“

Das klingt nicht gerade fröhlich, und das Bewusstsein der Erbsünde überschattet jede Empfindung von Freude, deren wir ja alle auch fähig sind. Man könnte nun also mit Adorno sagen: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ und angesichts dieser metaphysischen  Unglücksperspektive nur noch als Griesgram durchs Leben laufen. Ein weiteres Nachdenken über das Lachen müsste man dann gar nicht erst anstellen.

Man könnte aber auch einen weiteren Gedanken aus Baudelaires düsterer Betrachtung über das Komische aufgreifen, und dieser führt zum Glück aus der Sackgasse heraus: Der Gedanke nämlich, dass, wie er in Erinnerung an Augustin sagt, Engels- und Teufelskräfte gemeinsam ihre Wirksamkeit entfalten, dass die Menschen  für die Einsicht in das Böse ebenso begabt sind wie für die Einsicht in das Gute. Sie haben die Freiheit, zwischen beiden zu wählen. Somit wäre auch dem Lachen ein Freiheitsspielraum gegeben – der Mensch ist nicht zum satanischen Kundry-Lachen verdammt. Es gibt zweifellos auch ein lebensbejahendes Lachen. Und das ist, entgegen einem verbreiteten Irrglauben, nicht identisch mit der konditionierten Lachkultur von Comedy Shows und anderen Humorangeboten der Unterhaltungsindustrie.

Die platonische Lachskepsis

Heutige Philosophen machen den Ursprung der abendländischen Lachskepsis oder sogar Lachfeindlichkeit bei Platon fest. Das profane Lachen passte nicht in seine Ideenwelt. Damit ist Platon im Grunde genommen auch der Vater der E-Musik. Sein materialistischer Gegenspieler war Demokrit, der Schöpfer der ersten Atomtheorie. Man nannte ihn den lachenden Philosophen, denn sein Verhältnis zur Welt war von einer distanzierten Heiterkeit  geprägt. Das ist wohl auch der Grund, dass er von der Philosophiegeschichte lange nicht ernst genommen wurde. Platons Lachfeindlichkeit indes wurde im Mittelalter von der Kirche übernommen und fand dann nach der Reformation im sittenstrengen Puritanismus seinen Höhepunkt. In der damaligen Volkskultur wurde vermutlich viel gelacht, aber das ist nicht dokumentiert.

Die heutige Trennung in oben und unten, in hohe und niedere Kunst, in erste und unterhaltende bzw. E- und U-Musik und mit ihr die Verbannung des einfachen Lachens aus der Hochkultur hat also eine lange Vorgeschichte. Sie hängt mit der Geschichte der Zivilisierung der rohen Natur des Menschen durch Religion und Kultur zusammen. Lachen ist etwas Unkontrolliertes, Anarchisches, das den Körper in nervöse Zuckungen versetzt, wie Baudelaire anmerkte. Es kann subversiv, erhellend, schadenfroh, provozierend, befreiend etc. sein. Es kann, wie alles andere, aber auch missbraucht werden und inhumane Züge annehmen.

In seinem Aufsatz stellt Baudelaire fest, die Religionen hätten das Lachen zu Recht aus ihrem innersten Bereich verbannt. Der Tempel muss rein bleiben. Wo dieses Tabu fällt, so lässt sich folgern, sind die Fundamente einer Kultur gefährdet. Blasphemische Witze, wie sie heute in den Medien üblich sind, und verwandte Erscheinungen in der Kunst sind unter diesem Gesichtspunkt als Symptome einer kulturellen Degeneration deutbar. Das Lachen, wenn sie überhaupt eines auslösen, ist ein zynisches Grinsen. Sein Schauplatz ist heute vor allem Westeuropa. In anderen Gesellschaften wäre so etwas kaum denkbar, doch für uns müde gewordene Tabubrecher und Ironiker sind es die letzten Reize, die uns noch zum Lachen bringen.

Haydns Humor und Schönbergs Grimasse

Die Gehirnforscher haben untersucht, welch komplizierten Parcours die Impulse durch die Gehirnwindungen machen, bis sich am Schluss jene nervöse Reaktion einstellt, die wir Lachen nennen. Und es scheint, dass vor allem jene Gehirnregionen aktiviert werden, die etwas mit Sprache zu tun haben. Ist das vielleicht der Grund, dass die unbegriffliche Musik nur in Verbindung mit Worten, also etwa in der Oper, zum Lachen reizen kann und komische Wirkungen nur auf sehr vermittelte Weise, etwa durch eine bewusst die Regeln verletzende musikalische Syntax, bewirkt werden können?

Ein Meister solcher immanent-musikalischer Regelverletzungen war Joseph Haydn, weshalb ihm auch nachgesagt wird, aus seinen Werken spreche ein spezifischer musikalischer Humor. Haydn war unendlich erfinderisch in seinem Bestreben, die durch Konvention geprägten Erwartungen seiner Zuhörer zu enttäuschen; er konfrontierte sie mit ungewöhnlichen motivischen und harmonischen Wendungen, führte sie mit Trugschlüssen aufs Glatteis und brachte durch Verkürzung und Verlängerung von Satzgliedern die musikalische Rede aus dem Gleichgewicht. Sein Publikum nahm die Herausforderung an und wusste seine Musik als geistreiche Unterhaltung zu schätzen.

Haydns musikalischen Humor ist dem schallenden Lachen entgegengesetzt; er verschafft nicht Befriedigung in Form einer augenblicklichen psychischen Entladung, wie es dem Lachen eigen ist, sondern appelliert an die Kennerschaft und erzeugt eine durch Reflexion vermittelte, sublimierte Art von Genuss. Voraussetzung dazu sind allerdings eine allgemein verbindliche Musiksprache und die Kenntnis ihrer Regeln, gegen die verstoßen wird. In der heutigen Zeit mit ihrem uferlosen Pluralismus der Stile und Schreibweisen hat diese Art des musikalischen Humors ihre Existenzbasis verloren.

Noch im späten 19. Jahrhundert verstand das musikalisch gebildete Publikum den Humor in einem Werk wie „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss, weil es mit der Musiksprache vertraut war. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zerbrach dieser Konsens. Die Kenntnis der Baugesetze der freien Atonalität und später der Zwölftontechnik im Wiener Schönberg-Kreis war nur noch einer kleinen Zahl von Experten und Eingeweihten vorbehalten. Da gab es auch für Humor keinen Platz mehr. In Schönbergs Vokalzyklus „Pierrot lunaire“ nach Gedichten von Albert Giraud wird das Lachen in eine nostalgische Grimasse verkehrt. Im neunten Stück mit dem Titel „Gebet an Pierrot“ heißt es:

Pierrot! Mein Lachen
Hab ich verlernt!
Das Bild des Glanzes
Zerfloss - Zerfloss!
Schwarz weht die Flagge
Mir nun vom Mast.
Pierrot! Mein Lachen
Hab ich verlernt!
O gib mir wieder,
Rossarzt der Seele,
Schneemann der Lyrik,
Durchlaucht vom Monde,
Pierrot - mein Lachen.

Dieser Versuch, dem Lachen den historischen Prozess zu machen, war aber nicht mehr als eine Verdrängung. Und wie es Verdrängungsmechanismen an sich haben: Das ausgesperrte Lachen kehrte im falschen Moment und am falschen Ort zurück. Werke, die die Komponisten mit großem Ernst als zukunftsweisenden künstlerischen Akt präsentierten, provozierten beim Publikum Gelächter. In den Augen der damaligen Komponisten war deshalb das Publikum banausisch und dumm. Man könnte es auch im Freudschen Sinn anders sehen: das Lachen als Ausdruck einer verdrängten Wahrheit. Auch in den Konzertsälen des 20. Jahrhunderts offenbarte das Lachen noch lange jene anarchistische, unkontrollierbare Kraft, vor der sich schon Platon gefürchtet hatte.

Das Lachen auf der Opernbühne

Anders als im Konzertsaal hat das Lachen im Musiktheater immer eine Heimat gehabt. Oper und Operette sind voll von Stellen, in denen auf der Bühne – und manchmal auch im Publikum – gelacht wird. In manchen Bühnenwerken, wie zum Beispiel im „Rigoletto“ von Verdi oder in Leoncavallos „Bajazzo“, ist das Lachen geradezu thematisch. Lachen und Weinen als elementare Äußerungen liegen hier nahe beieinander. Inhalt, Charakter und dramaturgische Funktion des Lachens sind in der Oper genau bestimmbar. Es gibt das gesellschaftlich abstrafende Lachen des Spottchors im „Freischütz“, das politisch gefährliche Lachen der Intriganten in der Friedhofsszene von Verdis „Maskenball“, das herrisch-verächtliche Lachen des Hauptmanns im „Wozzeck“, um nur drei Beispiele zu nennen.

Aber dann gibt es auch noch das heimliche Lachen des Komponisten über seine Figuren und deren Irrtümer und Blindheiten. Dieses Lachen drückt sich nur mittelbar aus, in einer spezifischen musikalischen Faktur oder Haltung, etwa in der Schlussfuge aus Verdis „Falstaff“ oder in Mozarts genialen Ensembleszenen. Nicht zu vergessen die Operetten von Jacques Offenbach, dem vermutlich größten Meister des feinen, aber treffsicheren und mitunter satirisch zugespitzten Bühnenhumors, der schon zu seiner Zeit ganze Säle zum Lachen brachte und das auch heute noch tut – vorausgesetzt die Regie versteht sich auf diese Art von Humor, was heute leider nicht mehr ganz selbstverständlich ist.

Eine Szene wie im dritten Akt von Offenbachs „La vie parisienne“, wo sich die Partygäste über das Loch in der Hose des falschen Admirals mokieren, ist ein Beispiele für das, was Jauss unter heraufsetzender Komik versteht. Sie macht sich zwar an einer bestimmten Personen oder Sache fest, zielt aber aufs Ganze, auf die menschliche Komödie als solche. In den besten Momenten mischen sich bei Offenbach beide Formen der Komik, die herabsetzende und heraufsetzende, zu einem Knäuel von Interaktionen und Empfindungen und erzeugen einen Überschuss an komischer Energie, der unmittelbar auf das Publikum überspringt. Dann werden Werk, Bühne und Publikum einen Moment lang eins.

Solch brillant komponierte Situationskomik ist heute undenkbar. Das Lachen ist der Musik im 20. Jahrhundert durch die politischen Katastrophen ausgetrieben worden, und eine gnadenlos humorfreie Theorie hat in Deutschland seither alle menschlichen Empfindungen, die auch nur von weitem an Komik erinnern, aus der Musik verbannt. Vergessen wurde dabei: Große Kunst ist stets Bejahung der Welt in all ihren Widersprüchen, und für deren Darstellung ist Komik nicht das schlechteste Mittel – siehe Mozarts Opern. Insofern darf man die Prognose wagen: Das Lachen in der Musik hat noch nicht ausgedient. Voraussetzung ist allerdings, dass man es ernst nimmt.

© 2010 Max Nyffeler

Der Text basiert auf einem Beitrag für die vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst herausgegebene Zeitschrift Aviso Nr. 1/2011 und auf dem Referat "Bitte nicht lachen!", gehalten 2006 beim Münchner Pfingstsymposion.

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