Was kommt nach Napster?

Neue Strategien auf dem Schlachtfeld der Musikpiraterie

Es gab einmal eine große Freibeuterlegende, und die hatte den Namen Napster. Die globale Musiktauschbörse brachte einige Jahre lang Millionen Musikfans zum Jubeln und die Medienkonzerne zum Zittern. Als 1999 in den USA der 19-jährige Collegestudent Shawn Fanning sein Tauschprogramm ins Internet stellte, schien das goldene Zeitalter des kostenlosen Musikgenusses anzubrechen. Manche sprachen auch von Revolution. Die multinationalen Konzerne waren für die jugendlichen Musikfans eine Zeitlang nur noch Luft. Die weltweite Napster-Gemeinde versorgte sich selbst mit all den begehrten Musiktiteln. Man ließ einfach alle andern am musikalischen Schatz teilhaben, den man selbst auf seinem Computer abgespeichert hatte. Das Tauschprogramm machte den gegenseitigen Zugriff möglich.

Heute ist Napster ein kommerzieller Musikanbieter. In langen Kämpfen vor internationalen Gerichten wurde er domestiziert. Den entscheidenden Schlag verpasst ihm Bertelsmann, einer der angegriffenen Multis, der sich beim Piraten kurzerhand einkaufte und ihn so an die Leine des bürgerlichen Urheberrechts legte.

Nun fristet Napster sein Dasein als ganz normaler Webshop. Und so funktioniert es: Für eine monatliche Flatrate von 9 Euro 95 kann man sich aus einem Angebot von 1,5 Millionen Titeln so viel Musik auf seinen Heimcomputer herunterladen, wie man möchte; für zusätzliches Geld darf man die Songs sogar auf mobile MP3-Spieler übertragen. Doch die Sache hat einen Haken. Wenn man nämlich das Abonnement kündigt, werden auch gleich alle heruntergeladenen Songs vom Computer und vom MP3-Spieler gelöscht. Dafür sorgt ein spezieller Code im digitalen Soundfile. DRM, Digital Rights Management, heißen die Verfahren, die solche Sperren möglich machen. Eine dauerhafte Speicherung erlaubt das System nur, wenn man zusätzlich 99 Cent pro Song überweist. In der Szene ist Napster damit abgeschrieben, in den einschlägigen Diskussionsformen, wo früher Hochstimmung herrschte, heißt es jetzt: „Napster, igitt!“

Der rasante Aufstieg der Tauschbörse Napster war nur möglich vor dem Hintergrund der Expansion des Internets Ende der neunziger Jahre. Dazu kam als weitere technische Neuerung das Kompressionsverfahren MP3. Es verkleinerte eine Musikdatei bis zum Dreißigfachen, was die Reisezeit im Internet erheblich verkürzte.

Das Waterloo der Musikindustrie

Die Musikindustrie brauchte einige Jahre, um zu verstehen, was da ablief und um die kommerziellen Chancen dieser neuen technischen Möglichkeiten zu erkennen. Aber da gingen die Verluste bereits in die Millionen, und die Entwicklung ließ sich nicht mehr umkehren. Inzwischen ist weltweit eine ganze Generation von jungen Musikhörern herangewachsen, die sich um Rechtsfragen nicht mehr schert. Zudem gibt es heute in vielen Ländern aufgrund löcheriger Gesetze ganze Piratenindustrien, die die Märkte mit Schwarzkopien beliefern und dabei blendend verdienen. 2003 belief sich der weltweite Verkauf raubkopierter CDs auf geschätzte 1,1 Milliarden Stück, der Umsatz auf 4,5 Milliarden Dollar.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Den jammernden Musikmultis wurde vorgehalten, der eigenen Abzockermentalität zum Opfer gefallen zu sein. Sie hätten die Entwicklung verschlafen und den Kontakt zu den Fangemeinden verloren; letzteres ist in der Tat eine marketingmäßige Todsünde, wie jeder mittlere Fußballklub weiß.

Und dann musste ein Branchenfremder, die Computerfirma Apple, den Plattenlabels vormachen, wie man erfolgreich einen legalen Download installiert. Heute hat Apples iTunes-Musicstore mit einem Marktanteil von weltweit 85 Prozent ein Quasi-Monopol im schnell wachsenden Online-Geschäft. Sein in den mageren Jahren ausgehandelter Einheitspreis von 99 Cent pro Titel deckelt die Marktpreise, die die Plattenfirmen gerne höher sähen. Doch die Firma Apple will nicht primär Musik verkaufen, sondern ihre schicken iPods, und da sind ihr massenhafte billige Lieder als Kaufanreiz gerade recht. Auch da steht die Plattenindustrie wieder ziemlich dumm da.

Inzwischen ist auch Selbstkritik laut geworden, so von Jörgen Larsen, dem dänischen Vorstandsvorsitzenden des weltgrößten Musikkonzerns Universal Music. Auf die großen Verluste der Branche angesprochen, bemerkte er vor einem Jahr, dass die leitenden Manager schlechte Arbeit geleistet hätten. Originalton Larsen: „Die Plattenfirmen waren faul.“

Ende der Talfahrt?

Manches deutet darauf hin, dass illegaler Download und müde Repertoirepolitik der Firmen einander bedingen, dass das massenhafte Raubkopieren so etwas wie die Rache der enttäuschten Jugendlichen an den teuren Angeboten der Industrie ist. Das Ausmaß der Raubkopien lässt sich ungefähr abschätzen an der Zahl der verkauften CD-Rohlinge. Der Höhepunkt scheint in den Jahren 2002 und 03 gewesen zu sein. Eine österreichische Statistik besagt, dass im Jahr 2002 24 Millionen Rohlinge, aber nur noch 19 Millionen normale Musik-CDs verkauft wurden – also über ein Viertel mehr Rohlinge als legale CDs. Die Zahlen dürften auch für andere europäische Länder repräsentativ sein.

Entsprechend düster sehen die Bilanzen der Plattenproduzenten aus.  Was die Schweiz angeht, so meldete im November 2005 die lokale Niederlassung der IFPI, des internationalen Verbandes der Tonträgerhersteller, dass der Umsatz in der Schweiz seit dem Jahr 2000 um 32 Prozent eingebrochen sei. In den internationalen Chefetagen sank die Stimmung auf den Nullpunkt.

Der Negativtrend scheint sich aber nun langsam abzuschwächen. Die schweizerischen Absatzzahlen für das Jahr 2005 wiesen nur noch ein Minus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr auf.

Über Schuld und Ursachen der Krise im Plattengeschäft lässt sich streiten. Diese betrifft übrigens nicht nur den Popsektor, sondern auch die Klassik, obwohl hier der illegale Internet-Download als Umsatzkiller kaum in Betracht fällt. Der Klassikhörer möchte gerne eine repräsentative Box in Händen halten, mit allen dazugehörigen Informationen. Irgendwelche Soundfiles auf dem Computer sind nicht seine Sache, und das Herunterladen etwa einer Wagner-Oper würde je nach Verbindung Stunden dauern. Die Krise im Klassikbereich hat andere Ursachen, sie hängen mit der allgemeinen Übersättigung des Marktes zusammen.

Anders der Massenmarkt der Popmusik mit seinen 5-Minuten-Songs. Hier hätte die Industrie das Geschäft des Jahrhunderts machen können. Doch das Gegenteil ist bisher passiert. Mit dem Technologiesprung der Digitalisierung ist eine Entfremdung zwischen Plattenproduzenten und jungem Publikum eingetreten. Die gerichtlichen Abwehrmaßnahmen der Industrie haben diese Entfremdung noch verstärkt.

Urheberrecht: Fehlendes Unrechtsbewusstsein

Das Internet gilt heute vielen, vor allem jugendlichen Musikhörern als Selbstbedienungsladen. Ignoriert wird, dass es klare urheberrechtliche Bestimmungen gibt, die das Kopieren von Musik einschränken. Es klafft eine Lücke zwischen Recht und allgemeinem Rechtsbewusstsein. Im Zuge der Internet-Euphorie um das Jahr 2000 machte sich eine Begriffsverwirrung breit, und es entstanden bizarre Fronten: Die fröhliche Schüler-Musikguerilla gegen den gemeinen Multi, die Freiheit des Konsumenten gegen die Paragrafen der Suisa-Notenpolizei. Eine Klarstellung zum Urheberrecht im digitalen Zeitalter kann deshalb hier nicht schaden. Formuliert hat sie Reinhold Kreile, der langjährige Vorstandschef der deutschen Urheberrechtsgesellschaft Gema und engagierter Kämpfer für die Rechte der Autoren auch auf europäischer Ebene. Auch beim folgenden Zitat handelt es sich übrigens um einen Download – er stammt von der Website der Neuen Musikzeitung, deren Herausgeber Theo Geißler das Gespräch mit Kreile führte:

"In der Tat ist die digitale Revolution eine Revolution so ähnlich wie die Erfindung und Einführung der Dampfmaschine. Man kann sich das gar nicht grundlegend genug vorstellen. Seinerzeit, als die Dampfmaschine erschienen ist, ist eine Welt neu geworden. Nicht unähnlich ist es auch durch die neue digitale Technik. Nur: Damit ändert sich das geistige Eigentum nicht. Damit ändert sich auch das Urheberrecht nicht. Es ändert sich möglicherweise in der Handhabung. Nur wenn ich dann von sehr gescheiten Professoren durchaus in Amerika höre, dass das Urheberrecht nicht mehr das Entscheidende sei, sondern dass die digitalen Rechtsformen alles andere überwölben würden, dann muss ich sagen: Nein, genau umgekehrt ist es. Das Recht des geistigen Eigentums bleibt bestehen. Denn wie auch immer die digitale Technik ist: Es bedarf zunächst einmal eines schöpferischen Geistes, ein Kunstwerk, ein Musikwerk zu schaffen."

Also zuerst der Urheber und dann der Verbraucher, auch wenn heute der Konsument angeblich König ist. Das stellt Kreile unmissverständlich fest. Und weiter:

"Und dann geht es darum, wie dieses Musikwerk dem Hörer nahe gebracht wird. Und die Hörer nennen sich dann in unserem Sprachgebrauch „Nutzer“ - nämlich, wie die  Musik genutzt wird, damit man sie hört, damit man sie empfindet, damit man mit ihr lebt. Dieses hat sich sehr grundlegend verändert  und wird sich in der nächsten Zeit – diese Nutzungsarten der Musik – noch grundlegend ändern. Aber das Urheberrecht  bleibt genau das gleiche."

Das heißt: Der Hörer oder Verbraucher kann gegen Bezahlung das geistige Eigentum des Urhebers nutzen, aber er darf es sich nicht einfach umsonst nehmen, auch wenn das heute technisch leicht machbar ist. Im juristischen Klartext heißt es dazu auf der Website des Verbandes der Schweizerischen Plattenindustrie:

"Wer eine CD kauft, erwirbt nur das Sacheigentum an der Plastikscheibe, nicht etwa auch die Rechte der Autoren, ausübenden Künstler und Hersteller."

Und für Reinhold Kreile ist  eine Schwarzkopie schlicht Diebstahl am Urheber. In den Ohren des Musikfans klingt das extrem ungeil, ist aber leider Gesetz. Musik kopieren ist – mit Ausnahme der wenigen erlaubten Kopien zum Privatgebrauch – genau so gesetzeswidrig wie der Ladendiebstahl oder die Fahrt mit Tempo 100 durchs Wohnviertel.

Die mangelnde Akzeptanz der urheberrechtlichen Voraussetzungen beim breiten Publikum ist heute das große Problem nicht nur der Industrie, sondern auch der Urheberrechtgesellschaften, sprich: der Autoren. Wobei anzumerken ist, dass die Interessen beider Seiten nicht immer identisch sind. So wollte die Industrie in den mageren Jahren Teile des Defizits einfach auf die Autoren abwälzen; sie versuchte eigenmächtig die Autoren-Vergütungen zu reduzieren, die sie für jeden käuflichen Tonträger an die nationale Urheberrechtsgesellschaft entrichtet muss.

Während in Deutschland ein jahrelanger Rechtsstreit die Folge war, wurden entsprechende Manöver der Tonträgerindustrie in der Schweiz durch die staatlichen Aufsichtsgremien unterbunden. Im "Korb 2" der Urhberrechtsrevision, der zur Zeit in Deutschland diskutier wird, ist in dieser Hinsicht noch ein gewaltig faules Ei versteckt: Die Hardware-Industrie versucht, die Abgaben auf kopierfähige Geräte auf ein Minimum zu drücken, was unmittelbar auf die Einkünfte der Urheber durchschlagen würde.

Neue Strategien gegen das Schwarzkopieren

Die Abwehrmaßnahmen gegen das Schwarzkopieren sind in den vergangenen Jahren effizienter geworden und scheinen nun langsam zu wirken. Wobei sich niemand Illusionen über eine schnelle Wirkung macht. Der Kopierschutz kann nur bei Neuproduktionen greifen, nicht aber bei den Millionen Aufnahmen, die bereits im Umlauf sind.

Bei den Strategien gegen die Piraterie lassen sich hauptsächlich drei Methoden unterscheiden: Erstens: Abschreckung durch juristische Verfolgung; zweitens: Aufklärung durch erzieherische Maßnahmen und drittens: die Weiterentwicklung der technischer Kopiersperren. Zum Austrocknen der trotz aller Schwierigkeiten noch immer aktiven Tauschbörsen im Netz hofft man außerdem auf das wachsende Angebot der legalen Internet-Webshops.

Von allen Methoden hat die juristische Verfolgung den lautesten öffentlichen Wirbel verursacht. Bei kommerziellem Raubkopieren ist Strafverfolgung zweifellos notwendig. Im Fall des vierzehnjährigen Schülers, der zu Hause seine CDs für die Klassenkameraden brennt, dürfte sich der juristische Knüppel hingegen kontraproduktiv auswirken. Die Sympathien der Öffentlichkeit sind in einem solchen Fall immer auf Seiten des Schwächeren, der Imageschaden ist größer als der pekuniäre Nutzen. Die Medien fragten: "Wollen sich die Plattenfirmen ihre potenziellen Kunden zum Feind machen?", und mancher sah schon die Polizei auf Verbrecherjagd in den Schulhöfen. Von der rabiaten Doppelstrategie der gerichtlichen Verfolgung und öffentlichen Anprangerung ist die Industrie denn auch eher wieder abgerückt, zumal die Rechtslage überhaupt nicht so eindeutig ist, wie sie es gerne darstellt.

In der Schweiz steht gegenwärtig (2006) die Anpassung des Urheberrechts an die neuen Gegebenheiten zur Diskussion. Wird der aus der Vernehmlassung hervorgegangene Gesetzestext verabschiedet, dann wird zwar der Upload, nicht aber der Download von Musik strafbar sein. Dazu heißt es in einer Medienmitteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements:

"Dem Konsumenten soll nicht zugemutet werden, zwischen legalen und illegalen Internet-Angeboten unterscheiden zu müssen."

Das Schweizer Büro des internationalen Verbandes der Tonträgerproduzenten IFPI sieht das anders. IFPI-Anwalt Beat Högger in einer Sendung des Schweizer Radios vom Dezember 2005:

"Das Herunterladen, der reine Download, das, sagen viele, sei legal. Dieser Ansicht bin ich nicht. Es ist nicht geschützt durch die Verwendung im privaten Bereich, sondern es ist ein Kopiervorgang mit unbestimmten Dritten, was eben nicht gedeckt ist durch das Privatkopierrecht."

Das ist eher auf der Linie des ebenfalls revidierten deutschen Urheberrechts, das in diesem Punkt weniger liberal ist als das schweizerische. Die  hiesige Phonoindustrie müsste noch gewaltige Lobbyarbeit leisten, um den jetzigen Schweizer Entwurf auch dahin zu bringen. Zu einer Stellungnahme war man im IFPI-Büro trotz dreimaliger Anfrage nicht zu haben – weder zum Thema der Gesetzesrevision noch zur Frage nach dem Ertrag der großen Antipiraten-Aktion, die man im letzten Jahr unter dem Logo "Game Over" mit viel Trara in die Medien gehievt hatte. Vielleicht ist das Game doch noch nicht ganz over.

Etwas gelassener scheint man diese Fragen bei der schweizerischen Urheberrechtsgesellschaft Suisa zu betrachten. Für Bernhard Wittweiler vom Rechtsdienst der Suisa stellt sich der bundesrätliche Entwurf des neuen Urheberrechts als ausgewogener Kompromiss dar, der die nötigen Gesetzeslücken füllt, ohne in allzu große Restriktionen zu verfallen.

"Die Schweiz hat eigentlich das Glück, dass sie ein relativ modernes Urheberrechtsgesetz hat, das von 1992 stammt. Und dort ist das Internet bereits ein bisschen vorweggenommen. Es gibt aber zwei Defizite, die zu beheben sind. Das eine ist das Nutzungsrecht, Inhalte im Internet anzubieten, dass das noch nicht klar genug im Gesetz steht, dass hier noch eine klarere und eindeutigere Formulierung ins Gesetz hinein kommt. Der andere punkt ist die Problematik des privaten Kopierens – dass hier noch eine Verdeutlichung stattfindet. Da ist noch einiges unklar. Und was auch noch ein gewichtiges Problem ist, das ist die Schnittstelle zwischen den technischen Maßnahmen und den Vergütungen für das private Kopieren. Auch hier besteht noch einiger Klärungsbedarf."

Aufklärung ist nötig

Mindestens ebenso  wichtig wie der Kampf an der juristischen Front ist die Aufklärung der Konsumenten, vor allem der Jugendlichen. Oft haben sie überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Musik soll Spaß machen und nicht moralische Bedenken auslösen. In einer Gesellschaft, die den Konsum als Mittel zur Selbstverwirklichung betrachtet und das durchgeknallte Ego zum antibürgerlichen Freiheitskämpfer stilisiert, ist es schwer, die Rücksicht auf irgendwelche abstrakten Urheber- oder Verwertungsrechte in den Köpfen zu verankern.

Wie viel das geistige Eigentum wert ist, wird den Jugendlichen etwa durch den deutschen Politiker und Börsenanwalt Friedrich Merz vorgemacht. Der hatte im letzten Februar bei der Entgegennahme des karnevalistischen "Ordens wider den tierischen Ernst" in Aachen eine mitreißend komische Rede gehalten. Nur war sie in den wesentlichen Punkten leider nicht von ihm. Er hatte sie aus einem Satiremagazin im Internet abgekupfert. Wohlverstanden: ohne Wissen der Autorin.

Soviel zur Moral der gesellschaftlichen Leitfiguren. Unter den Normalbürgern mögen solche Gesinnungstäter eher selten sein, doch am Rechtsbewusstsein mangelt es auch hier. Bernhard Wittweiler von der Suisa sieht denn auch erheblichen Aufklärungsbedarf in Sachen Urheberrecht. In ihren Öffentlichkeitskampagnen setzt die Suisa vor allem auf die Schulen.

"Das fehlende Unrechtsbewusstsein macht es natürlich ganz klar schwieriger, illegale Nutzungen im Internet zu verhindern oder abzustellen. Man darf den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern muss unermüdlich daran arbeiten, dass dieses Rechtsbewusstsein wieder hergestellt wird. Einerseits, indem man auf rechtlichem Weg da vorgeht, und da sind die Rechtsinhaber auch legitimiert, das zu tun. Aber dabei soll es nicht bleiben. Eine ganz wichtige Aufgabe, und das sehen wir so, dass es eine wichtige Aufgabe ist, dass gerade auch bei den jungen Leuten diese Überzeugung versucht wird zu verankern, dass man in die Schulen geht. Dass man die jungen Leute vom Wert der geistigen Arbeit überzeugt und ihnen klar macht, dass das nicht gratis zu haben ist, und wenn diese Gratismentalität im Internet weitergehen sollte, dass das letztlich dazu führt, dass die Kreativität da Schaden leiden wird."

Solche Überlegungen machen deutlich, dass es sich beim illegalen Download im Grunde genommen um eine kulturelle Problematik handelt, die nur mit kulturellen bzw. erzieherischen Mitteln zu beeinflussen ist. Rechtliche Drohungen helfen da kaum weiter.

Über die Bewusstseinslage der Jugendlichen liegen reichlich empirische Daten vor. So etwa von der amerikanischen BSA, die Business Software Alliance, die gegen das illegale Kopieren  von Computersoftware kämpft. Kürzlich führte sie eine Erhebung über die Download-Gewohnheiten von Jugendlichen im Alter von 8 bis 18 Jahren durch. Das Resultat: Im Februar 2006 wurden weit weniger Musik, Spiele oder Software schwarz aus dem Internet heruntergeladen als noch 2004. Bei der Musik sank der Anteil von 53 auf 32 Prozent. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Vom illegalen Download werden die Jugendlichen weniger abgehalten durch Gewissensbisse oder elterliche Rügen als vielmehr durch die Angst vor Viren und Spyware.

Kopiersperre als Patentlösung?

Die dritte und auf Dauer möglicherweise entscheidende Methode, illegales Herunterladen und Kopieren von Musik zu verhindern, ist die technische. Es gibt sehr unterschiedliche digitale Verschlüsselungsverfahren; sie laufen unter dem Kürzel DRM, Digital Rights Management, und werden laufend verfeinert. Weltweiter Marktführer in der Entwicklung neuer Kopierschutzverfahren ist die Firma Sony DADC, ein eigenständiger Konzernteil von Sony Japan mit Hauptsitz in Anif bei Salzburg und weltweiten Niederlassungen. Das Unternehmen, das seinerzeit noch auf Betreiben Karajans auf die grüne Wiese bei Salzburg geholt wurde, fabriziert hauptsächlich CDs und DVDs. Im letzten Jahr waren es weltweit 1,6 Milliarden Einheiten. Andreas Riegler, leitender Produktmanager und zuständig für die Entwicklung neuer Kopierschutzverfahren:

"Unser Kerngeschäft ist es, optische Speichermedien herzustellen. Natürlich haben wir uns im Laufe der Zeit diversifiziert in verschiedenen Richtungen. Einerseits mit Services auf Basis der Disc, das sind als also z.B. Kopierschutzlösungen zum einen, es sind aber auch Marketinglösungen. Wir haben eine weltweit einzigartige Technologie, die es uns erlaubt, eine eindeutige Nummer auf eine CD zu schreiben und damit in Verbindung mit dem Internet ganz neue Anwendungen zu kreieren."

Begonnen wurde vor einem Jahrzehnt mit der Entwicklung von Kopierschutzverfahren für Videospiele. Heute konzentriert sich die Forschung zunehmend auf den DVD-Videobereich, dies zumal im Hinblick auf die bevorstehende Einführung der hoch auflösenden Blue-ray-Technologie. Hier geht es darum, Kinofilme in Topqualität vor dem Raubkopieren zu schützen. Auch der Klassikbereich könnte langsam interessant werden für Raubkopierer, etwa bei den aufwändigen Opernproduktionen auf DVD, die immer beliebter werden.

Bei der DVD-Video-Sicherung, sagt Riegler, ist es wichtig, dass die Benutzerfreundlichkeit weiterhin gewährleistet ist, das heißt, dass es beim Abspielen in einem normalen Player und auch auf dem Computer keine Beeinträchtigung gibt. Das Verfahren skizzert er so:

"Wir haben eine besondere Technologie, wo wir die Navigationsstruktur der DVD nutzen. Wenn man in eine DVD einsteigt, hat man eine Menustruktur, in der man ein Kapitel auswählen kann. Diese Struktur nutzen wir, um es den sogenannten PC-Rippingtools nicht zu ermöglichen, eine Kopie der Videoinhalte auf einen Computer zu ziehen oder die CD oder die DVD eins zu ein zu  kopieren."

Die rechtlichen Voraussetzungen des Kopierschutzes sind für die Sony-Entwicklungsabteilung sekundär. Sony ist nur technischer Dienstleister. Seine Kunden, Labels aus aller Welt, entscheiden als Rechteinhaber dann selbst, welche Form von Kopierschutz sie einsetzen wollen.

Für die Speichermedien CD, DVD und Blue-Ray-DVD gibt es unterschiedliche Kopiersperren. Besonders ausgetüftelt hören sie sich bei der neuen Generation der Speichermedien an, den hochauflösenden Blue-ray-Discs. Hier arbeitet man mit noch größeren Schlüssellängen, mit noch komplexeren Mechanismen, um zu vermeiden, dass solche Discs in nicht zertifizierten Werken hergestellt werden, aber auch um sicherzustellen, dass nur eine legale Kopie in einem Blue-ray-Spieler abspielbar ist.

Die Sperre ist bei Blue Ray sowohl in der Abspielhardware als auch auf der Disc vorhanden – zur Freigabe des Inhalts müssen stets beide Komponenten identifiziert werden. Angesichts solcher komplexer Sicherungssysteme erscheint die CD mit ihrer unbegrenzten Kopierbarkeit wie ein technologisches Auslaufmodell, auch wenn sie den Markt nach wie vor dominiert. Aber auch hier gibt es neue Verfahren der Verschlüsselung, gerade auch in Verbindung mit dem Internet. Sie funktionieren jedoch nicht restriktiv, sondern sie ermöglichen den Zugang zu sogenannten Exklusiv-Informationen im  Netz. Zum Beispiel: Zehn Titel von einem Künstler sind schon auf der CD, ein elftes Lied kann man dann nur mit dieser CD vom Internet herunterladen, ebenso zusätzliche Künstlervideos und andere Informationen. Solche Konzepte kennt man bereits aus dem DVD-Bereich.

Gläserner Musikhörer?

Bei diesen technisch perfekten Verfahren zur eindeutigen Identifikation der Inhalte und der Rechtenutzer beschleicht einen die dumpfe Ahnung, dass auch bald  einmal der gläserne Musikkonsument Wirklichkeit werden könnte: Der Musikanbieter weiß dann genau, wann und wo ich welches Musikstück mit welchem Abspielgerät anhöre. Es eröffnen sich Perspektiven, wie sie sich Big Brother nicht schöner vorstellen könnte. Bis dahin ist es allerdings noch ein längerer Weg.

Vorläufig bastelt die Industrie noch an den Schutzmechanismen für die dritte Generation von digitalen Speichern, für Blue-ray und HD-DVD. Sie sollen bei diesem neuen Format das Desaster verhindern, das bei der CD eintrat: dass die Inhalte von jedermann geplündert werden. Bei luxuriösen Opernverfilmungen, weit mehr noch bei Hollywood-Produktionen, geht es um ein Vielfaches der Werte, die auf einer Musik-CD gespeichert sind. Und wenn die Urheberrechtsgesellschaften durch die Digital-Rights-Management-Strategien der Medienmultis nicht ausgetrickst werden, dann bleibt in Zukunft vielleicht sogar noch für die Autoren etwas vom großen Kuchen übrig.

@ Max Nyffeler, 2006

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