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April 2001

Theaterschließung – na und?

Als vor kurzem die Nachricht von der drohenden Schließung des Volkstheaters Rostock durch die Presse ging, kam es im MuWiSpektrum, einem Internet-Forum deutschsprachiger Musikwissenschaftler, zu einer bemerkenswerten Diskussion. Unter der Überschrift "Theaterschließung - na und?" hatte ein Teilnehmer den Standpunkt vertreten, prinzipiell spreche doch eigentlich nichts dagegen, den Laden dicht zu machen, denn das eingesparte Geld käme dann vielleicht "einem Krankenhaus, einer sozialen Einrichtung, einer Armenküche oder der Sozialarbeit mit Asylanten zugute". Er fügte bei: "Warum soll die sog. 'Kultur' da unbedingt Vorrang haben?" Dann folgte der Hinweis auf ein verändertes Medienverhalten: "Vielleicht sind das Theater und die Oper und das Ballett als live-Erlebnis überhaupt einfach 'out'? Wenn es demnächst das Spartenfernsehen gibt, wo man jeden Abend die besten Theater-, Musik und Tanzproduktionen der Welt ansehen kann: wieso sollte man sich da noch für teures Geld einen deutschen Provinztheaterabend antun?"

Die Argumente sind nicht neu. Man kennt sie aus dem Umfeld der McKinsey-Leute, deren Job darin besteht, heute einen Stahlbetrieb, morgen eine Kartonfabrik und übermorgen ein Theater oder eine Rundfunkanstalt für den neuen Kapitalismus fit zu machen. Neu ist hingegen etwas anderes: Was vorsichtige Politiker mit Blick auf die nächsten Wahlen höchstens andeuten würden, wird hier in rüdem Klartext ausgesprochen: Schluß mit dem kulturellen Kram, wenn er nicht rentiert, und was sich da als "sog. Kultur" eine höhere Weihe anmaßt, kommt gegen die Fernsehstandards ohnehin nicht an. Ebenfalls neu ist, dass solche Auffassungen unter Geisteswissenschaftlern die Runde machen, bei Leuten also, die, so sollte man meinen, auf Grund ihrer Bildungsprivilegien eine besondere Verantwortung für den sorgfältigen Umgang mit den kulturellen Traditionen haben müssten.

Nun hat auch die intellektuelle Verachtung gegenüber der Kultur ihre Tradition. Vor nicht allzu langer Zeit wollte einer ja auch schon mal zum Revolver greifen, wenn er nur das Wort hörte. Und es gehört zu den Sünden der Achtundsechziger Bewegung, dass sie, wie neulich Karlheinz Bohrer in der "Zeit" darlegte, ihr enormes kulturelles Potential einer kruden politischen Durchmarschstrategie opferte. Mit dem Resultat, dass ein Jahrzehnt später manche rot-grünen Kommunalbehörden Kulturpolitik mit dem Aufstellen von Blumentöpfen im Fußgängerviertel verwechselten. Das war wenigstens noch gut gemeint. Die neue Form intellektueller Kulturverachtung unterscheidet sich von der alten jedoch dadurch, dass die Ressentiments in pseudoprogressiver Verkleidung daherkommen; man beruft sich auf die Normen setzende Kraft der neuen Medien und schlägt mit dem Hinweis auf die kleine Schicht privilegierter Theaterbesucher kräftig auf die Pauke des Sozialneids. Sind Subventionen von 150 Mark pro Sitz für Puccinis "Tosca" nicht geradezu unmoralisch, wenn das Geld für die Arbeitslosen fehlt? Aus dieser Sicht ist Kulturabbau ein Gebot politischer Correctness, und wer dagegen ist, ein hoffnungsloser Reaktionär.

Die Reformbedürftigkeit der kulturellen Institutionen, vor allem des Opernbetriebs, soll nicht in Abrede gestellt werden, und ohne Einschnitte, das wissen alle, wird es nicht gehen. Doch richtig brisant wird es erst dann, wenn angesichts der notorisch leeren Kassen die unsägliche Alternative "Theater oder Sozialarbeit" als Knüppel gegen die Kultur aus dem Sack geholt wird. Und an diesem Punkt läßt sich leider immer wieder eine windelweiche Argumentation seitens der Vertreter der Kultur beobachten. In vorauseilendem Gehorsam wird die Notwendigkeit des Sparens bis zur Strangulation wie ein Naturgesetz akzeptiert, als ob das Ganze nur ein Problem des internen Managements und nicht ein allgemein gesellschaftliches wäre. So läßt man sich argumentativ auf das glatte Parkett der ökonomischen Logik hinüberziehen, statt mit den eigenen, den kulturellen Argumenten, zu fechten, in denen man stark ist: eisenhart die gesellschaftliche Notwendigkeit der Kultur zu verteidigen und - nicht mit billigen Marketingtricks, sondern gestützt auf die kulturellen Inhalte, die man anzubieten hat - neue Strategien zu entwickeln, um ein Theater in der Öffentlichkeit zu verankern. Dazu braucht es freilich eine breit abgestützte Argumentationsfront, Kompetenz und Autorität im Dialog mit Politikern und Öffentlichkeit. Wie man das macht, zeigte vor Jahren Rolf Liebermann in Hamburg und Paris. Er verband den musikalische Sachverstand des Komponisten mit dem administrativen des Juristen, dazu kam eine hohe soziale Kompetenz, die ihn zum vollwertigen Gesprächspartner nicht nur von Bürgermeistern und Staatspräsidenten, sondern auch von Sängerstars und Bühnenarbeitern machte. Eine Mischung von Großbürger, Künstler und Schlitzohr, der für sein Theater meist all das erreichte, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.

Eine individuelle Erfolgsstory aus der guten alten Zeit? Zweifellos ist das auch heute noch möglich. Doch hängt vieles davon ab, wer künftig in der öffentlichen Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Rolle der Kultur den Diskurs bestimmt: die Kreativen und Sachkundigen, also die Autoren und engagierten Vermittler in Institutionen und Medien, oder die sachfremden Nachbeter technokratischer Nulllösungen wie jener akademische Yuppie, der mit dem Hammer philosophieren möchte und sich dabei doch nur auf die eigenen Zehen haut.

© 2001 Max Nyffeler. Der Text darf ohne Erlaubnis des Autors nicht weiter verwertet werden.

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