Wagners Meistersinger aus der MetAmerikanischer Blick auf eine urdeutsche OperEine "unmögliche Gattung" wird manchmal die Oper genannt, und unmöglich erscheinen manchmal auch die Rezeptionsweisen. Zum Beispiel bei Wagners Meistersingern. Von der vierstündigen, mit philosophisch-ästhetischen Maximen schwer befrachteten "komischen Oper" gibt es erstaunlicherweise schon mindestens vier Aufzeichnungen auf DVD, als ob es sich um eine populäre Carmen oder Zauberflöte handeln würde: aus Sydney mit Charles Mackerras und Michael Hampe, aus Berlin mit Rafael Frühbeck de Burgos und Götz Friedrich, aus Zürich mit Franz Welser-Möst und Nikolaus Lehnhoff und aus New York mit James Levine und Otto Schenk. Aufgrund von Wagners präzisen gedanklichen Vorgaben ist das Werk ziemlich resistent gegen dekonstruktivistische Inszenierungskonzepte. Entsprechende Versuche von Wernicke bis Konwitschny haken sich am Festwiesenauftritt des Sachs fest und konterkarieren dessen "nationalistisches Gesinnungsgetöse"; sie sind nur vor der Folie der ewigen Nazivergangenheit verständlich. Anders die vier DVD-Produktionen. Sie folgen weitgehend Wagners Dramaturgie samt dem ganzen soliden Bildarsenal von Schusterstube und Festwiese. Einzig die Zürcher Produktion mit Lehnhoff und seinem Bühnenbildner Roland Aeschlimann versucht das Stück vorsichtig aus dem Nürnberger Lebkuchen- und Lederhosenmilieu herauszulösen und einer sanften Modernisierung zu unterziehen, was auch zu Welser-Mösts schlanker, manchmal etwas hastiger Dirigierweise passt. Herausragender Sängerdarsteller ist hier José Van Dam als Sachs. Besonders interessant im Sinn der erwähnten Unmöglichkeit ist die Produktion aus der Met. Man sieht eine abgrundtief konventionelle, aus Old Europe importierte Inszenierung von Otto Schenk und Günther Schneider-Siemssen mit schwerem Eichenmobiliar, Trachten und fröhlichen Zünften eigentlich ein Horror für jeden aufgeklärten Operngänger. Doch die Verpflanzung des muffigen altdeutschen Nürnbergs nach New York produziert ungeahnte Widersprüche, die aus der Nahdistanz des Bildschirms besonders schrill wirken und die Vorzüge des Mediums DVD die Möglichkeit einer analytischen Wahrnehmung wieder einmal unterstreichen. "Im Drang der schlimmen Jahr' blieb sie doch deutsch und wahr", berichtet Hans Sachs in New York von der deutschen Musik. Seine Aufforderung "Ehrt eure deutschen Meister", quittiert die schwarze Sängerin im Chor mit einem begeisterten "Heil Sachs, Heil der deutschen Kunst", worauf das Publikum nach dem Schlussakkord wiederum mit frenetischem Jubel reagiert. Die bühnen- und kameragewandten Protagonisten allen voran James Morris als Sachs, Thomas Allen als Beckmesser und Ben Heppner als Stolzing brillieren mit hoher Stimmkultur und einer Wortverständlichkeit, die sich Bayreuth zum Vorbild nehmen könnte. Der Jude James Levine, für den sich die Wagner-Stadt München nie richtig erwärmen konnte, bringt die Musik des alten Antisemiten mit hingebungsvoller Präzision zum Funkeln und Blühen. In dieser seltsamen Aufführung werden die verbissenen Diskussionen um Wagners Verbohrtheiten einen Moment lang vergessen. Im Zentrum steht das mit großer Begeisterung artikulierte Bekenntnis zu einer Kunst, die über alle ideologischen Konflikte und Untergangsszenarien triumphiert. Manchmal braucht es den Blick von außen, in diesem Fall aus dem angeblich kulturlosen Amerika, um dem Werk des von deutschem Selbsthass arg gebeutelten Wagner ein wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. © Max Nyffeler 2005
(9/2005) |