John Tavener, der Gottsucher im Rolls Royce

Ein aufschlussreiches Filmportrait des umstrittenen englischen Komponisten

Cover John TavenerJohn Taverner, der große englische Vokalkomponist aus dem 16. Jahrhundert, hat einen Widergänger in unserer Zeit: John Tavener, ohne „r“. Dieser ist, seit sein Chorstück „Song for Athene“ beim Begräbnis von Prinzessin Diana in Westminster gesungen und weltweit übertragen wurde, international bekannt als der Komponist mit den extrem langsamen Tempi, der im Stil griechisch-orthodoxer Kirchenmusik komponiert. Den ebenso konsequenten wie umstrittenen Einzelgänger kann man nun in einem Filmporträt von Bryan Izzard näher kennenlernen.

Man begegnet einer durch und durch britischen Existenz. Ein Sohn aus gepflegtem Elternhaus mit einer exzentrischen irischen Aristokratin als Patentante, der in den wilden Sechzigern Freundschaft mit Ringo Starr und später auch mit Prince Charles schließt, als Autonarr im Rolls Royce durch London kurvt und in all seinen Geschichten mit Weibern und Alkohol stets nach etwas Anderem sucht. Er fand es, als er 1977, nach einer kurzen Zwischenstation beim Katholizismus, im Schoß der orthodoxen Kirche landete: eine Religion des Herzens, in der die Offenbarung höher steht als der Intellekt. Seine Musik hat seither ihre unverkennbare Erscheinung angenommen – langgezogene Melismen über Bordunbässen, abgestimmt auf den Atem und eingehüllt in die modale Harmonik der orthodoxen Liturgie. Mit sympathischer Offenheit spricht Tavener über seine Biografie und die Hinwendung zur östlichen Religion, begründet seine Vorliebe für langsame Tempi („mein Herz schlägt im Tempo vierzig“) und für Themen, die den Menschen im Spannungsfeld von Sinnlichkeit und Spiritualität zeigen.

Bei den langen Musikausschnitten wissen Kamera  und Schnitttechnik manchmal nicht recht mit den Zeitdauern umzugehen. Das Bild springt unruhig zwischen rotgewandeten Chorknaben, alten Kirchenfresken, griechischen Landschaften und dem andächtig Ikonen küssenden Komponisten hin und her. Von geradliniger Menschlichkeit sind die Gespräche mit orthodoxen Priestern und Mutter Thekla, der Nonne, die zu Taveners Vertrauensperson wurde und ihm das Libretto zu seiner Oper „Mary of Egypt“ schrieb. Die Mezzosopranistin Patricia Rozario beeindruckt durch die großartige Intensität, mit der sie die verhalten-ekstatischen Melodiebögen gestaltet.

Tavener, der Artist zwischen Pop und Transzendenz, schreibt ähnlich wie Arvo Pärt eine Musik, die polarisiert. Man kann sie wegen ihrer technischen Schlichtheit kritisieren oder ihr den Erfolg am Markt neiden, doch sie besitzt, was all den fleißigen Materialbastlern, die unsere Festivals bevölkern, abgeht: Die Überzeugungskraft des persönlichen Bekenntnisses.

John Tavener. Beyond the Veil / Filmporträt von Bryan Izzard / Bildformat 4:3 (NTSC), Stereo / 80 min. / Warner 3984-23931-2

© Max Nyffeler 2007

DVD: John Tavener. Beyond the Veil / Filmporträt von Bryan Izzard / Bildformat 4:3 (NTSC), Stereo / 80 min. / Warner 3984-23931-2

(März/2007)

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