Der zeitlose KomponistenalptraumEine neue Ariadne auf Naxos aus Zürich
Wenn im ersten Teil, dem Vorspiel, die Anhänger von Opera seria und Opera buffa in heutigen Kategorien: von E- und U-Musik unversöhnlich aneinandergeraten, so geschieht das aufgrund der Launen des neureichen banausischen Auftraggebers. Er schert sich einen Dreck um die Werkautonomie und die völlig verschiedenen Gattungsgesetze von Tragödie und Komödie und will beide Theatertruppen mit ihren Stücken gleichzeitig auftreten lassen. Seine einzige Sorge ist, dass diese „musikalische Einlage“ den Zeitplan zwischen festlichem Diner und spätabendlichem Feuerwerk nicht durcheinander bringt. Eingreifende Kürzungen in letzter Minute sind angesagt, die Hinrichtung des Werks steht unmittelbar bevor. Hinter der bizarr-absurden Geschichte verbirgt sich die traurige Diagnose vom geistigen Niedergang der kulturtragenden bürgerlichen Schichten. Doch anders als Schönberg, der mit seinem Wiener Verein den Rückzug in den Elfenbeinturm antrat, entschieden sich Strauss und sein Textdichter mit der Ariadne für die Flucht nach vorne. Sie reagierten auf die Krise, indem sie künstlerischen Profit aus ihr schlugen und sich für ein „Trotzdem“ entschieden. Die geniale Karikatur eines Inszenierungsprozesses, der ein verstümmeltes Werk und einem verzweifelten Komponisten zurücklässt, ist in höchstem Maße komisch, obwohl sie den worst case einer Uraufführung darstellt auch heute noch einen Alptraum für jeden Opernautor bedeuten dürfte. Ariadne auf Naxos, entstanden in einem historischen Moment der Krise, ist eine Selbstreflexion der Oper mit künstlerischen Mitteln, und indem das Werk das problematisch gewordene Verhältnis von Ernst und Unterhaltung nicht nur ästhetisch diskutierte, sondern auch auf kreativ neuartige Weise in die Bühnenrealität umsetzte, eröffnete es der Gattung Oper auch neue Perspektiven. Die spielerische Leichtigkeit und Ironie der Bühnenintrige, in der sich menschliche Emotion und kunsttheoretische Reflexion virtuos durchdringen, kommen in der musikalisch überaus gelungenen und auch technisch vorzüglichen Produktion aus dem Opernhaus Zürich etwas zu kurz. Der Regisseur Klaus Guth hält es eher mit handfester Komik und drastisch bebilderten Emotionen. Die Stärke der Inszenierung liegt im zweiten Teil, wo die gegensätzlichen Charaktere der beiden weiblichen Hauptpersonen auf psychologisch eindrucksvolle Weise durchleuchtet werden und sich plötzlich ganz nahe kommen. Elena Mosuc in der Rolle der lebenszugewandten Zerbinetta verkörpert mit ihrem verführerischen Sopran glaubhaft das Rätsel weiblicher Gefühlswelten. Emily Magee als Ariadne bewältigt die wenig attraktive Aufgabe, über lange Strecken heulendes Elend und Tablettenjunkie zu mimen, mit Würde und steigert sich im Duett mit Roberto Saccà als Bacchus zur Heldin der resignierenden Gefühle. Was bleibt, ist nicht die beflügelnde Vision einer ewig wieder erwachenden Liebe, sondern die bittersüße Trauer über den realen Verlust der einzigen. Unterstützt werden die Sänger durch ein außerordentlich frisch und transparent musizierendes Orchester unter der inspirierten Leitung von Christoph von Dohnányi. Die Inszenierung verlängert Strauss’ und Hofmannsthals Kunstgriff des Theaters auf dem Theater in die Gegenwart, indem sie die Aufführung mit einem kräftigen Schuss Lokalkolorit anreichert. Der Bühnenbildner Christian Schmidt lässt die Oper im Interieur der „Kronenhalle“, Zürichs Szenelokal für die etwas feineren Kunstliebhaber spielen, und den Haushofmeister gibt in perfekt herablassender Wiener Domestikenart Intendant Alexander Pereira persönlich. © Max Nyffeler 2008
(5/2008)
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