„Tell Us About Theresienstadt“Alice Sommer Herz erzählt
Das Gespräch mit Alice Sommer Herz führte der Filmemacher Christopher Nupen 2001, als sie achtundneunzig Jahre alt war, in ihrer Londoner Wohnung, wo sie übrigens heute noch lebt. Der Film entstand mit einfachsten Mitteln einfach die Kamera auf das Gesicht gerichtet, abschnittweise aus einer anderen Perspektive, und dazwischen Ausschnitte aus der Mondscheinsonate und einem Schubert-Impromptu. „Ich spiele jeden Tag zweieinhalb Stunden Klavier, das ist meine tägliche Nahrung.“ Eine lebhafte und charmante alte Dame, die ohne Pathos und mit einer unglaublichen Leichtigkeit des Erinnerns aus ihrem Leben erzählt. Bei Dingen, die ihr besonders nahe gehen, fällt sie vom Englischen ins Deutsche. Es ist eine 54-minütige Lektion in Lebensphilosophie aus dem Mund eines Menschen, der allen Grund zu Verbitterung hätte, aber innerlich gelöst und glücklich wirkt. „Ich habe nie gehasst. Ich der Bibel steht, dass das Gute und das Böse geschaffen wurde. Das eine kann nicht existieren ohne das andere. Die Deutschen sind Hitler nachgelaufen, sie waren damals schlecht. Aber es gab auch viele gute Menschen darunter. Wir alle sind gut und schlecht.“ Es sind einfache, aber harte Einsichten, die uns Heutige beschämen und die Probleme mit Hartz 4 und Spitzensteuersatz klitzeklein erscheinen lassen. „Die Menschen, die in den Lagern waren, sind oft toleranter und vergebungsbereiter als diejenigen, die sich schuldig fühlen.“ Auch das ist eine dieser Einsichten. Der Antisemitismus Wagners? „Ich glaube, er war nicht sehr gebildet.“ Aber als Komponist und Dichter gehört er für sie zu den größten Genies aller Zeiten ein Idealist mit beschränktem Wissen, aber kein Geisteskranker wie Hitler: „Dass drei Viertel der deutschen Intelligenz ihm gefolgt sind, verstehe ich weniger als ihn selbst. Er war einfach krank.“ Auch in Theresienstadt ließ sie der Gedanke nicht los: „Da habe ich mal die B-Dur-Sonate von Schubert gespielt und gedacht: Wenn der Hitler hier sitzen würde, dann würde er vielleicht bei diesen zwei Takten weniger hassen. Bei diesen zwei Takten, die so grandios sind.“ Man könnte laufend zitieren aus den tiefen Wahrheiten der Alice Sommer Herz. Noch eindrucksvoller ist es aber, wenn man beobachten kann, mit welcher Distanz und inneren Größe diese kleine und zierliche Person über das Erlebte berichtet. Auf die Frage, was sie aus ihrem Leben gelernt habe, antwortet sie: „Dankbar zu sein für alles. Überlebt zu haben, gesund zu sein, die Sonne zu sehen, ein nettes Wort von jemandem zu hören. Alles ist ein Geschenk.“ Es ist ein wichtiger Film, den Christopher Nupen mit ihr gedreht hat. Auch ihn zu sehen ist ein Geschenk. © Max Nyffeler 2010
|