Künstlerkarrieren im Schatten der PolitikToscanini, Rubinstein, Caruso, Cliburn: Faszinierende Interpretenporträts, dilettantisch ediert
Die ersten vier Ausgaben enthalten Porträts von Arturo Toscanini, Enrico Caruso, Artur Rubinstein und Van Cliburn. Der Produzent Peter Rosen hat dafür hochkarätiges Filmmaterial zusammen getragen. Seine Porträts betten die Künstlerbiografien geschickt in das Zeitgeschehen ein und sind damit alles andere als unpolitisch. Toscaninis Beethoven und Hitlers Bomben, Van Cliburns Tschaikowski und der Abschuss des amerikanischen U2-Spionageflugzeugs in der Sowjetunion werden hart gegeneinander geschnitten. Mit ihrer Mischung von historischer Kompetenz und Headline-Sensation, journalistischer Präzision und einem Hang zum human touch (der bei Cliburn an Personenkult grenzt), sind die Filme interessante Beispiele einer Fernsehästhetik, die eine Massenunterhaltung auf hohem Niveau mit pädagogischer Wissensvermittlung zu verbinden versucht. Und ganz nebenher wird auch der american way of life als bester Garant der Kunstfreiheit in Position gebracht - auf durchaus glaubwürdige Weise. Das liegt einerseits an den Künstlerbiografien, andererseits an den Autoren, Beratern und Interviewpartnern; über Toscaninis Qualitäten äußert sich zum Beispiel ein brillant argumentierender, junger James Levine. Die Produktionen repräsentieren auf eindrucksvolle Weise das aufgeklärte, jüdisch-liberale Amerika der Nachkriegs-Ära. Die vier Interpretenporträts haben sehr individuelle Profile. Artur Rubinsteins singuläre Heiterkeit und Großmut, sein unvergleichliches Chopin-Spiel, der triumphale Empfang, den ihm die Bevölkerung bei seiner ersten Nachkriegstournee in dem von den Deutschen verwüsteten Polen bereitete all das wird in hoch emotionalen Bildern eingefangen, wobei die nicht immer uneigennützigen Kommentare des Sohnes des Pianisten, des Dirigenten John Rubinstein, eine familiäre Nähe schaffen. Die Jahrhundertgestalt Toscanini wird nicht nur mit langen Sequenzen auf dem Dirigentenpodium, sondern auch als fideler Großpapa inmitten seiner Großfamilie vorgestellt. Der Texaner Van Cliburn, der als Preisträger des Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerbs 1958 unvermittelt zu einer politischen Schachfigur im Kalten Krieg wurde, erscheint als Starpianist zwischen Weltpolitik, Medienrummel und ödipaler Mutterbindung eine dubiose Melange, die seiner sympathischen Erscheinung erstaunlicherweise keinerlei Abbruch tut. Ein leider düsteres Kapitel ist die Edition. Die redaktionelle Betreuung glaubte man offenbar einsparen zu können. Booklets fehlen, und die grafisch hässlichen Untertitel sind voller unsäglicher Fehler: so wird die Eröffnung von Bayreuth auf 1879, der Beginn von Mussolinis Karriere auf 1991 (!) datiert, der Komponist Menotti wird als Minoliti apostrophiert und Puccini als Autor der Oper Tournadot, usw. Ein Festival der Inkompetenz, das zum Originalmaterial einen beschämenden Kontrast bildet. Vor siebzig Jahren begannen der Aderlass der europäischen Kultur und die künstlerische Emigration nach Nord- und Südamerika. Wenn die exzellenten RCA-Archive, die diesen Exodus dokumentieren, durch einen deutschen Multi heute auf derartig grausame Weise gefleddert werden, sieht das beinahe wie eine Rache an den Emigranten aus. Kein Wunder, dass andernorts das Gespenst des Ugly German nicht tot zu kriegen ist. © Max Nyffeler 2004
(11/2004) |