Nono, Abbado, Pollini

Ein Film von Bettina Ehrhardt auf den Spuren einer Künstlerfreundschaft

Nono, Abbado, PolliniWas hat eine Aufführung von Schumanns Klavierkonzert in New York mit Schönbergs Gurreliedern und der Stadt Venedig zu tun? Nach der Filmemacherin Bettina Ehrhardt und ihrem Co-Autor Wolfgang Schreiber heißt das Bindeglied Luigi Nono. Die Interpreten jener Werke sind Claudio Abbado und Maurizio Pollini, die mit Nono von den 1960er Jahren bis zu seinem Tod 1990 in einer engen Künstlerfreundschaft verbunden waren. Was Nono mit seinem Schwiegervater Schönberg gemeinsam hatte, erläutert Abbado mit einem begrifflichen Charme, den sich nur große Künstler leisten können: „Schönberg ist einer der größten Revolutionäre gewesen, und Gigi liebte die Revolution, wie die von Che Guevara und Castro – alles, was gegen die Gewohnheit war.“

Über den musikalischen, politischen und menschlichen Gleichklang der drei Freunde gibt ein Telegramm Auskunft, das Nono – vermutlich in den 1970er Jahren – an „Maestro Claudio Abbado, Teatro Bolscoi“ schickte. „Musica vita lotta amore hombre nuevo che voi due mi avete dato terra et prospettiva nuova stop musica et classe operaia stop“ schreibt er in ekstatischem Staccato. Es gipfelt in den enthusiastischen Worten: „Ich möchte mit Euch zusammen im lieben Moskau sein.“

Den Fokus, in dem die freundschaftlichen Kraftlinien zusammenliefen, bildete zweifellos die Person Nonos. Seine schwärmerischen Visionen einer neuen  Welt und einer Verbindung von künstlerischer Avantgarde und Arbeiterklasse – daran glaubte man ja damals -  beflügelten nicht nur ihre gegenseitige Zuneigung, sondern darüber hinaus das Denken der künstlerischen Intelligenz vor allem in Italien.

Vor der Kamera sprechen seine beiden jüngeren Freunde mit Respekt und verständnisvoller Sympathie von ihm. In den sechziger Jahren habe man Nono überhaupt nicht verstanden, sagt Abbado. Es war die Zeit, als Nono seine radikal politischen Werke komponierte, als er an den Diskussionen des politisch-künstlerischen Forums musica/realtà in Reggio Emilia teilnahm, als Pollini beim Versuch, auf dem Konzertpodium einen Protest gegen den Vietnamkrieg zu verlesen, vom Publikum niedergeschrien wurde.

Der Film dokumentiert diese Phase mit zahlreichen Fotos. Ansonsten sucht er den Zugang zur abwesenden Hauptfigur Nono auf indirekte Weise: über Proben- und Konzertmitschnitte seiner Werke, über eine nostalgische Erinnerung von Nuria Nono an die Zeit ihres Kennenlernens und vor allem über die Aussagen seiner beiden Freunde.

Das durchgängige Motiv, das die Erinnerungsfetzen miteinander verknüpft, ist das Wasser von Venedig. Es schlägt an die Kaimauern, es reflektiert das Licht über der Lagune, es bildet die düstere Kulisse bei einer nächtlichen Fahrt durch abgeschiedene Kanäle, und stets verbindet sich das Bild mit Nonos Musik. Auf dieser assoziativ-atmosphärischen Ebene teilt sich etwas von jenem Ungesagten mit, das im spekulativen Spätwerk mitschwingt. Nono, der Venezianer, der heraklitische Materialist mit enigmatischen Zügen.

Die Methode stößt dort an ihre Grenzen, wo es um die Werke der politischen Phase geht. Revolutionäres Manifest und Händlerbetriebsamkeit auf dem Fischmarkt bilden eine kuriose Nachbarschaft. Aber vielleicht sollte das ja gerade demonstriert werden: Den Umsturz gab’s nicht in der Lagunenstadt, wohl aber im fernen Vietnam – und in Nonos Kopf.

© Max Nyffeler 2006

DVD: A Trail on the Water. Film von Bettina Ehrhardt und Wolfgang Schreiber / Bildformat NTSC 16:9 / Dolby 2.0 und PCM Stereo / 76 min. / TDK DVWW DOCNONO 1052029

(Mai/2006)

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