Boris Berezovsky, Paul Lewis und Zoltán Kocsis in Live-Aufnahmen

DVD-Produktionen aus der Klavierarena von La Roque d'Anthéron

Boris Berezovsky CoverWer spektakuläres Klavierspiel gleichsam hautnah erleben will, kann seine Sensationslust bei einer DVD-Reihe stillen, die das französische Label naïve mit Aufnahmen in brillanter Stereo-Digitalqualität vom sommerlichen Klavierfestival im provençalischen Dorf La Roque d'Anthéron herausbringt. Die circensische Atmosphäre, die virtuoses Klavierspiel seit Franz Liszt umgibt, wird hier auch ein bisschen inszeniert. Das nicht sehr große Freiluft-Auditorium ist arenaförmig aufgebaut, die Zuschauer können dem Pianisten aus der Nähe direkt auf die Finger schauen. Das tun auch die fünf Kameras, die, ferngesteuert wie im Filmstudio, den Gladiator an Kränen und auf Schienen umkreisen und seinen Kampf an den Tasten mal in steiler Aufwärtsperspektive, mal senkrecht von oben, mal mit einer Naheinstellung auf seine Gesichtszüge dokumentieren.

Bei den zwölf Etudes d'exécution transcendante von Franz Liszt erzeugt dieses Dispositiv eine Visualisierung der Musik von provozierender Direktheit. Souveräner Interpret der eminent schwierigen Stücke ist der 1969 in Moskau geborene Boris Berezovsky; Bravour und Klangsensibilität sind bei ihm gleichermaßen entwickelt. Sein fast unbeweglicher Oberkörper bildet zur herkulischen Tastenarbeit einen befremdlichen Kontrast, sein Gesicht verrät hellwache Kontrolle. Paul Lewis CoverNur sein Hemd ist am Schluss durchnässt, als ob er durch einen Platzregen gelaufen wäre. Die Kameras scheuen vor indiskreten Detailansichten nicht zurück. Alles wird zur visuellen Botschaft, auch der im Gegenlicht glitzernde Schweiß, der dem Pianisten bei Mazeppa von der Nase tropft.

Zurückhaltender, aber auch langweiliger gibt sich der Mitschnitt eines Schubert-Rezitals mit dem Engländer Paul Lewis. Das hat auch mit dem Interpreten zu tun: Schönklang als Selbstzweck, übertriebene Temposchwankungen und überdehnte Pausen – die üblichen Manierismen einer bedeutungshaft aufgeblähten Schubert-Interpretation.

Viel organischer wirkt Schubert dagegen bei Zoltán Kocsis. Er stellt die zweisätzige Sonate in e-moll D. 566 neben die ebenfalls zweisätzige in e-moll von Beethoven. Zoltán Kocsis CoverDas intelligent komponierten Programm enthält außerdem einige packende Liszt-Interpretationen, Bartóks fulminante Sonate von 1926 und den Zyklus Für Kinder sowie eine Auswahl aus Játékok, den pianistischen Miniaturen von György Kurtág. Bei diesen Klavier-Spielen, deren musikalische Gestalt mit der Gestik ihrer Hervorbringung eng verknüpft ist, gelingen der Bildregie suggestive und musikalisch erhellende Wirkungen, zumal auch das Notenbild einbezogen wird.

Ansonsten überfällt einem bei dieser technisch perfekt gemachten DVD-Reihe gelegentlich der ketzerische Gedanke, ob denn eigentlich bei einem Klavierrezital die Optik unbedingt nötig sei – die Musik vermag, gerade bei Kocsis, immer noch genügend für sich selbst zu sprechen.

© Max Nyffeler 2004

DVD: La Roque d'Anthéron – Les pianos de la nuit / LPCM Stereo / naïve (Vertrieb: Harmonia Mundi) / Boris Berezovsky: naïve DR 2104 AV 103 (57 min.) / Paul Lewis: naïve DR 2102 AV 103 (68 min.) / Zoltán Kocsis: naïve DR 2100 AV 103 (91 min.)

(März/2004)

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