DVD-Cover Katja KabanovaWodka-Elend und Visionen von Glück

Leos Janaceks "Katja Kabanova" in der Salzburger Inszenierung von Christoph Marthaler

Christoph Marthaler ist ein begnadeter Regisseur und ein vielleicht etwas weniger begnadeter Theaterdirektor. Letzteres war ein Medienthema in der Sauregurkenzeit des Jahres 2002, ersteres ist wichtiger und lässt sich wieder einmal nachprüfen am Beispiel von Leos Janaceks "Katja Kabanova", die er 1998 in Salzburg inszenierte und deren Live-Mitschnitt nun auf DVD erschienen ist. Die französische Fernsehproduktion, die auf dem Bildtonträger nebst Stereo auch Surroundtechnik bietet, arbeitet optisch mit relativ wenig Aufwand. In der Filmregie von Pierre Cavassilas wird meist die Zuschauerperspektive gewahrt; die Einstellungen auf die handelnden Personen werden selten, aber dann sehr gezielt zur Halbtotale oder zum Blick auf das Hintergrundgeschehen erweitert.

Das gibt der Bühnenhandlung die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Eigenwirkung. In Anna Viebrocks Einheitsszene gibt es weder russisches Dorf noch Wolgaufer. Das Ganze spielt im Hinterhof einer tristen Grossstadt-Mietskaserne mit abblätternder Fassade, säuberlich aufgestellten Abfallbehältern und einem schäbigen kleinen Springbrunnen in der Mitte; er symbolisiert das Wasser, in dem Katja den Tod finden wird. Die Ausweglosigkeit des Orts, in dem kein privates Glück möglich ist, wird verstärkt durch die allgegenwärtigen Nachbarn an den Fenstern, deren neugierigem Blick nichts entgeht. Wichtigstes Requisit ist die Wodkaflasche.

Marthalers Zeitgestaltung tendiert auch in dieser Inszenierung zu einem quasi Mahlerschen Adagio, was ihm erlaubt, die Symbolik der kleinen Details, die psychischen Erschütterungen und die Anzeichen der in der Luft liegenden Katastrophe zu tragischer Intensität zu verdichten. Das deckt sich vorzüglich mit der Musik Janaceks, zu deren Stärken es gehört, große Emotionen in wenigen, fast stenogrammhaft verkürzten Gesten einzufangen. Ein einziges Mal entlädt sich die latente Hochspannung der Inszenierung in einer Dynamik von destruktiver Gewalt: Im Übergang vom zweiten zum dritten Akt, wo dem ausbrechenden Gewitter der überrumpelnde Ausbruch eines bis dahin friedlich im Hintergrund dösenden Säufers vorangeht – Zeichen des ohnmächtig-verzweifelten Protests gegen die Gemeinheit der verkommenen Provinzgesellschaft, der Katja zum Opfer fällt. Wie Marthaler diese unauffällige Nebenfigur gestaltet, wie er den Dauerbesoffenen subtil in die Handlung integriert und ihn zum Künder von Utopie macht, indem er ihn in den kurzen Glücksmomenten des Stücks selige Dirigierbewegungen zur Musik markieren lässt, ist ein Meisterstück für sich, anrührend und komisch zugleich. Vorteil des Videos: Es erlaubt einem, solche Details, die bei der Live-Aufführung oft wenig beachtet werden können, durch Wiederholung genau zu studieren.

In psychologischer Vielschichtigkeit zeichnet Marthaler die Hauptfiguren, allen voran die traumwandlerische Gestalt der Katja Kabanova (Angela Denoke), die ihrer Vision von Glück bewusst ihr Leben opfert. Daneben ihr hilfloser Geliebter Boris (David Kuebler), die böse und herrschsüchtige, ordinär Salzgurken verspeisende Schwiegermutter (Jane Henschel) und das lebenspraktisch veranlagte Gegenpaar Kudrjás/Varvara (Rainer Trost und Dagmar Peckova), das auch für komische Momente sorgt. Mit der Tschechischen Philharmonie und dem Slowakischen Philharmonischen Chor (Leitung: Sylvain Cambreling) stehen Ensembles zur Verfügung, die sich in Janaceks Idiom bestens auskennen. Gesungen wird in der Originalsprache, Untertitel gibt es in fünf Sprachen, darunter auch Deutsch.

© Max Nyffeler 2003

Leos Janacek: Katja Kabanova. Regie: Christoph Marthaler / ML: Sylvain Cambreling. Live-Mitschnitt von den Salzburger Festspielen 1998. TDK DV-OPKK, Stereo/Dolby 5.1/DTS 5.1, Regionalcode 0, 107 Minuten

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(Januar/2003)

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