Kein Spaß mit der Operette

Hans Neuenfels' Salzburger Inszenierung der Fledermaus

Der Skandal war gewaltig, den die Inszenierung der Fledermaus durch Hans Neuenfels 2001 auslöste. Es war das "Abschiedsgeschenk" von Gérard Mortier an das alt eingesessene Salzburger Festspielpublikum, das zur festlichen Unterhaltung bis zu fünfhundert Euro pro Platz bezahlt hatte und nun mit einer harten dekonstruktivistischen Lesart der Strauss-Operette konfrontiert wurde. Das wüste Spektakel, das seine bruchlose Verlängerung in den Zwischenrufen und sonstigen Störungen aus dem Parkett fand, zeigte wieder einmal: Über die Operette ist nicht zu spaßen. Wer die gewohnte Unterhaltungsschiene verlässt, wird abgestraft.

Dabei ist auf der Bühne der Felsenreitschule einiges los, was zum Lachen anregt – allerdings nicht zum unbedarften Amüsement, sondern zu einem brechtischen "kritischen Lachen": die unheimliche Bigotterie des aufgeblasenen Eisenstein (Christoph Homberger), die oft komischen – vom Text her leider ein paar Mal auch bemühten – Einlagen der Elisabeth Trissenaar in der Rolle des Frosch, der von Tenorschmalz triefende Alfred (Jerry Hadley).

Meist bleibt einem das Lachen allerdings in der Kehle stecken. Der Spaß ist unterfüttert mit Angst und Schrecken. Neuenfels verpflanzte die Handlung in die Zeit des aufkommenden Austrofaschismus – in Salzburg offenbar bis heute ein rotes Tuch. Paramilitärs mit Armbinden laufen über die Szene, das Festpublikum im zweiten Aufzug besteht aus Strizzis, Huren und andern Deklassierten, die jedem vermeintlichen Führer begeistert zujubeln. Zum Csárdás der Rosalinde wird ein unbotmäßiger Soldat exekutiert und der "Feuerstrom der Reben" durch Feuersbrunst und Kanonendonner überhöht. Der anzügliche Charme der k. k. Beamten- und Offiziersseele wird zu einem faschistoiden Gebräu von Sex und Gewalt zugespitzt, als hätte der Dramaturg Wilhelm Reich geheißen.

Über dem ganzen politischen Bacchanal thront der schwer koksabhängige Prinz Orlowski, dem der brillante Stimmkünstler und Performance-Artist David Moss die Züge eines jovialen Ungeheuers verleiht. Spätestens mit seinem Auftritt wird es definitiv ungemütlich im Saal; auch in der schnitttechnisch geschönten Aufzeichnung schimmert durch, dass der Fortgang der Aufführung ein paar Mal an einem dünnen Faden hängt.

Man kann Neuenfels manches vorwerfen – so etwa die Überladung der Szene mit kleinen Nebenhandlungen und die zeigefingerhafte Moral mancher Stellen. Auch die Brutalisierungstendenz passt zur Musik eben nicht immer so gut wie bei der aggressiven Schnellpolka im zweiten Akt. Doch ist ihm eine in jedem Moment durchdachte, psychologische Abgründe aufreißende und obendrein extrem brillante Inszenierung gelungen, die das Publikum zwangläufig polarisieren muss. Kalt lässt sie niemanden.

Ach ja, Musik gibt's auch noch. Angesichts der geballten Bühnenkraft kommt sie beinahe unter die Räder. Marc Minkowski steuert das Mozarteumorchester Salzburg unbeirrt durch das klippenreiche Spektakel. Sein französisches Brio, weit entfernt von Wiener Operettenschmäh, wirft ein kalt glitzerndes Licht auf das Geschehen und liefert insofern einen passenden Soundtrack zu Neuenfels' Horrorfilm-Gemütlichkeit.

© Max Nyffeler 2003

DVD: Johann Strauss: Die Fledermaus. R: Hans Neuenfels; ML: Marc Minkowski. Aufzeichnung von den Salzburger Festspielen 2001. / Dolby 5.1 und PCM Stereo / 170 min. / Arthaus 100340

(11/2003)

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