Karajan, Solti, Bernstein: Drei Dirigenten, scharf beobachtetBrüchiges Monument: Der späte Karajan
Die Imperatorengeste, die sein Dirigieren stets charakterisiert hat, ist hier zwar nicht verschwunden, aber extrem zurückgenommen. Das ist offenkundig auf sein Rückenleiden zurückzuführen, das ihn im letzten Lebensabschnitt plagte. Er dirigiert mit steifem Oberkörper, den Kopf meist geradeaus gerichtet und ohne Drehung in der Körperachse, die Bewegungen sind reduziert und erfolgen nur noch aus den Armen heraus. Wettgemacht werden diese Beschränkungen allerdings durch eine enorm differenzierte Gestik bis in die Fingerspitzen hinein; die wichtigen Impulse kommen häufig von der linken Hand. Die Ausdrucksgesten haben sich in die äußerste Körperperipherie verlagert, doch in ihrer Konzentration verströmen sie noch immer die Suggestivkraft des Pultschamanen, der Karajan stets war. Ein Fortissimo kann er aus dem Handgelenk heraus, einen harten Akzent mit einem Wink des Zeigefingers erzeugen. So etwas gelang auch Karajan nur mit Orchestern, mit denen er so vertraut war, dass sie ihm auch noch mit verbundenen Augen hätten folgen können, wie den Wiener Philharmonikern in der Achten und den Berlinern in der Neunten. Die Achte ist ein Musterbeispiel. Im Kopfsatz dirigiert er manchmal einen ganzen Schlag voraus, es herrscht vollkommenes Einvernehmen. Die Tempi kann er sehr breit nehmen, für die Wiener ist es eine Steilvorlage zur Entfaltung ihres luftigen Schönklangs. Das „Allegro moderato“ des Scherzos gerät dann aber doch reichlich behäbig, im rubatofrei durchgeschlagenen Hauptteil wirken die gegenläufigen Bewegungsmuster starr, schematisch und leicht komturhaft. Im Vergleich dazu klingt die EMI-Aufnahme von 1979 mit dem auch schon immerhin 67-jährigen Günter Wand viel lebendiger und richtig jugendfrisch. Mit dem riesigen Adagio balanciert Karajan dann auf atemberaubende Weise auf dem schmalen Grat zwischen formalem Zerfall und Zusammenhalt, und die triumphale Coda des Schlusssatzes kostet er aus, als wäre es das letzte Mal. Auf dieser DVD ist Karajan, Inbegriff des modernen Herrschers über Musik, Musiker und Musikbetrieb, als brüchiges Monument seiner selbst zu erleben, und das hat seine hohen Reize. Schade, dass sie so schlampig ediert ist. Man erfährt nicht einmal, welche Versionen der beiden Sinfonien gespielt werden.
Der Routinierte: George Solti
Zum DVD-Katalog von Medici Arts gehören neuerdings auch Konzertaufnahmen aus der 1966 von Leo Kirch ins Leben gerufenen Unitel-Musikfilmproduktion. Sie sind als Dirigentenporträts konzipiert und präsentieren Werke des Standardrepertoires. Eines der Zugpferde für den Anfang ist George Solti. Er dirigiert Beethovens Erste bei den Proms in der Londoner Royal Albert Hall sowie die Sinfonien Nr. 6 und 8 von Schubert in Chicago, beide Male mit dem Chicago Symphony Orchestra. Die DVD bringt im Grunde genommen nichts, was eine Visualisierung rechtfertigen würde. Es sind sehr konventionelle Konzertmitschnitte, und auch die musikalische Interpretation ist ziemlich middle of the road. Dem bekannten Bild des Dirigenten wird nichts Neues hinzugefügt. Zwischen den üblichen Orchesterperspektiven sieht man ihn mit seinen typischen zuckenden Aufwärtsbewegungen als energischen Chef, der alles perfekt im Griff hat. Auch seine kurze Einführung in die beiden Schubert-Sinfonien vor der Kamera folgt nur dem traditionellen Konzertführermodell. Die paar Informationen mögen aus dem Munde des prominenten Dirigenten zwar größere Autorität ausstrahlen als in gedruckter Form, mehr als Routine kommt dabei aber nicht heraus.
Der große Kommunikator: Leonard Bernstein
Ist der Brahms-Mitschnitt aufschlussreich hinsichtlich Bernsteins Dirigiertechnik, so zeigen ihn die Aufnahmen mit der ersten Sinfonie von Schostakowitsch als begnadeten Orchestererzieher. Der erste Teil bringt einen rund vierzigminütigen Zusammenschnitt der Proben mit dem Schleswig-Holstein Festivalorchester. In Körpersprache und Mimik hält sich Bernstein gegenüber den jungen Musikern klug zurück, doch wie er ihnen mit wenigen, prägnanten Sätzen den Charakter der Musik erklärt und sie dann Schritt um Schritt zur Realisierung seiner Zielvorstellungen anleitet, verrät den genialen Pädagogen und unwiderstehlichen Kommunikator. Der Lernfortschritt von der ersten Probe bis zum Konzertauftritt ist gewaltig, und aus der Rückblende entpuppt sich der Einfall, Bernstein als Orchesterpädagogen zu verpflichten, als die vielleicht beste Idee des damaligen Festivalleiters und Entertainers Justus Frantz. © Max Nyffeler 2009
(Januar 2009)
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