Sergiu CelibidacheWahrheitssucher Celibidache

Der Garten des Sergiu Celibidache: Ein Portrait des Dirigenten

Der 1996 mit vierundachtzig Jahren verstorbene Sergiu Celibidache war als Mensch und Künstler ebenso bewundert wie umstritten. Seine Interpretationen wirkten polarisierend, doch weil er keinen Finger breit von seinem Weg abwich, zollten ihm auch seine Gegner Respekt. Der Kinofilm, den sein Sohn Serge Ioan Celibidachi 1996 herausbrachte, zeichnet ein aufschlussreiches Porträt des eigenwilligen Dirigenten. Dreh- und immer wieder Ruhepunkt ist sein weitläufiger französischer Garten. Die Kamera beobachtet den schweigsamen Alten im stummen Dialog mit Pflanzen und Tieren, sie folgt ihm bei seinen mühseligen Spaziergängen und schnappt einige Gesprächsfetzen von ihm auf. Wie Fenster öffnen sich dazwischen die Sequenzen, die ihn beim Proben, im Konzert und beim Dirigierunterricht zeigen.

Hier geht es des öfteren vehement zu. Die patriarchalische Attitüde, die ihm immer wieder nachgesagt wurde, lebt der Pädagoge Celibidache hemmungslos aus. Er betreibt reine Einwegkommunikation, verkündet apodiktische Weisheiten und erwartet von seinen Eleven, dass sie sie nachbeten. Wer widerspricht, wird niedergemacht. Im praktischen Unterricht steigert sich diese Haltung bis zur Grausamkeit. Über gestische Mängel, schlechte Gewohnheiten und Unsicherheiten der Studenten macht er beleidigende Bemerkungen und scheut sich nicht nachzutreten, wenn das Opfer schon psychisch am Boden liegt. Die andern reagieren mit angsterfülltem Grinsen – es könnte sie ja als nächstes treffen.

Aus den sadistischen Exerzitien schält sich indes Schritt um Schritt der Kern von Celibidaches Kunstwollen heraus. Und hier wartet dieses manchmal beklemmende Porträt eines Diktators mit überaus erhellenden Momenten auf. Celi erscheint als ein Künstler, dem das Dirigieren Mittel zum Zweck ist – er will einer höheren Wahrheit Ausdruck zu verleihen. Für ihn ist der Dirigent nur ein Medium, durch das die Musik hindurch fließt; es ist sein größter Fehler, sagt Celibidache, wenn er der natürlichen Entwicklung der Musik mit einer Geste, die sich zwischen den Klang und die Musik stellt, widerspricht. Sein Credo lautet deshalb "Eliminierung der Ego-Reaktionen", er fordert, "Ablagerungen der Erfahrung" zu vermeiden und immer wieder neu staunen zu lernen. Angelernte Technik und analytisches Denken sind ihm ein Gräuel, denn jede Bewegung muss von innen kommen: "Du bist die Wahrheit", sagt er einmal in versöhnlichem Ton zu einem Schüler, "dieser musst du nahe kommen".

Celibidache, der unduldsame Idealist, praktizierte und lehrte nicht Dirigieren, sondern Weltanschauung. Ihn interessierte nicht das Taktschlagen, sondern der Ausdruck der Persönlichkeit. Die rauen Methoden, die er im Unterricht und – etwas höflicher – bei Orchesterproben anwandte, waren nichts für schwache Naturen. Doch wer ihnen stand hielt, das schimmert in diesem Film durch, konnte davon vielleicht etwas lernen.

© Max Nyffeler 2003

DVD: Der Garten des Sergiu Celibidache. Ein Film von Serge Ioan Celibidachi. Mit Werken von Mozart, Bruckner und Bartók (1996) / Dolby 2.0 / 147 Min., Originalsprachen (dt. Untertitel) / Absolut Medien, Dokumente 702

(September/2003)

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