Günter Wand dirigiert Bruckner

Aufnahmen aus den Fernseharchiven von 1990-2001

Günter Wand CoverAbgefilmte Sinfoniekonzerte sind immer problematisch. Wenn man die Musik nicht zum Anlass einer freien Bilderzählung nimmt und nur das  Konzert sachlich dokumentieren will, sind die Motive beschränkt: Dirigent von vorne, wie in der Konzertbesucher normalerweise nicht sieht, Totale des Orchesters, einzelne Instrumentengruppen und Orchestermusiker.  Als aufregende Zuspitzung der Nahperspektive gilt bestenfalls noch das extrem stark herangezoomte Detail: die wackelnde Flötenklappe, der Aufprall des Schlägels auf das Paukenfell, das gerötete Gesicht des Oboisten. Alle diese Einstellungen laufen mit dem musikalischen Geschehen parallel: Was man hört, das sieht man auch. „What you see is what you get“ – das Wysiwyg-Prinzip auf die Musik übertragen. Mit den unruhigen Schnitten lenkt die optische Verdoppelung von der Musik mehr ab als dass sie etwas verdeutlicht. Musikalische Zusammenhänge werden nicht wahrgenommen, das Ganze zerfällt optisch in geschäftige Einzelaktionen.

In diese Falle tappt auch die Günter Wand Edition, eine acht DVDs in zwei Schubern umfassende Dokumentation mit Aufnahmen aus den Jahren 1990-2001. Sie enthält von Anton Bruckner die Sinfonien Nr. 4-9 sowie Werke von Haydn, Beethoven, Schubert und Brahms. Es sind solide, routiniert gemachte Mitschnitte des NDR zumeist von Konzerten des Schleswig-Holstein-Musikfestivals. Stereotyp folgt die Filmregie der Vorgabe, dass immer gerade der Musiker oder die Musikergruppe gezeigt werden, die gerade spielen.

Man könnte diese Filmaufzeichnungen getrost vergessen oder das Bild abschalten und nur den Ton allein hören, wenn da nicht die gelegentlichen Blicke auf den Dirigenten wären. Bei der frühesten Aufnahme von 1990 mit Bruckners Vierter und der dritten Leonoren-Ouvertüre war Günter Wand bereits 78, bei der letzten von 2001 mit der Neunten 89 Jahre alt. Vor der Kamera steht ein körperlich hinfälliger Mensch, der jedoch noch soviel geistige Spannkraft besitzt, dass er die Architektur der Brucknerschen Werke in ihrer ganzen Größe nachzuzeichnen vermag. Mit einem Minimum an Bewegung hält er das Orchester, das ihm willig folgt,  zu einem Maximum an konzentrierter Leistung an. Jede Aufführung ist ein Sieg des Geistes über den schwachen Körper.

Der Stereoton und das meist alte Fernsehbildschirmformat 4:3 entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen; die Aufnahme der Vierten aus dem Lübecker Dom leidet zudem unter der unerträglich langen Nachhallzeit. Wer aber eine Dokumentation für den viel gerühmten Spätstil des überragenden Bruckner-Dirigenten Wand sucht, liegt mit dieser Edition richtig. Wands überlegte Zeitgestaltung und seine intuitive Fähigkeit, die großen Klangblöcke zu einem überzeugenden Ganzen zu formen, kommen hier eindrucksvoll zur Geltung. Und um sich dem musikalischen Eindruck ungestört hinzugeben, kann man ja einfach auch das Bild abschalten.

© Max Nyffeler 2006

DVD: Günter Wand Edition / Teil I: Bruckner, Haydn, Schubert / Teil II: Bruckner, Beethoven, Brahms / NDR Sinfonieorchester, Ltg. Günter Wand / Stereo / Bild 4:3 und 16:9 PAL / 358 u. 322 min. / TDK DVWW-COWANDBOX1 u. DVWW-COWANDBOX2 (die DVDs sind auch einzeln erhältlich)

(Dezember/2006)

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