Edition Zeitklang: Eine Initiative für neue Musik

Mit dem Motto "Kleine Schritte, langer Atem" baut das Label sein Programm auf

Um heute eine neue Plattenfirma zu gründen, braucht es schon eine gehörige Portion Mut und Fantasie. Der 1969 geborene Komponist und Produzent Bernfried Pröve hatte beides, als er vor sechs Jahren seine "Edition Zeitklang" ins Leben rief. Heute umfasst das Programm einige Dutzend Titel und wächst munter weiter.

Pröve weiss, dass flexible Organisationsstrukturen einen guten Teil seines Betriebskapitals ausmachen. Sein Unternehmen bildet ein Netzwerk von Gleichgesinnten, die sich einmal wöchentlich per Internet zusammenschalten, um den Geschäftsgang zu koordinieren. Pröve sitzt in einem niedersächsischen Dorf, sein Chefkoordinator in Berlin, Grafiker und Tonmeister sind auch für andere Firmen unterwegs. Die offene Struktur begünstigt schnelle Entscheidungen. Das zeigte sich etwa bei der Expo 2000 in Hannover, als das frisch gegründete Label eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Pavillon einfädelte und dabei Konkurrenten wie EMI und Deutsche Grammophon hinter sich liess.

Direkter Kontakt mit den Kunden gesucht

Platten produzieren und einen Vertrieb dafür finden ist schon schwer genug. Noch schwerer und vielleicht entscheidend ist es, eine treue Kundschaft aufzubauen und zu halten. Das beste Mittel, sagt Pröve, ist die Präsenz vor Ort - die Platten da verkaufen, wo die Kunden massenhaft anwesend sind: in den Pausenfoyers bei Konzerten, Festivals und andern Veranstaltungen, wo sich die Interessierten treffen. Die Nähe zur Live-Musik erhöht den Kaufanreiz. Und die Interpreten wissen das tatkräftige Engagement ihres CD-Verlegers zu schätzen und halten ihm die Treue. Das bedeutet, des öfteren mit den CD-Kisten im Kofferraum auf der Autobahn unterwegs zu sein. Der Schreibtisch ist auch für den Chef nur noch ein Arbeitsplatz von vielen.

Bei Zeitklang verbindet sich die Dynamik eines jungen Unternehmens mit künstlerischem Furor. Eine CD gilt hier noch als Produkt, das von seiner Aufmachung her etwas vom Inhalt spiegeln soll, vergleichbar einem gut gemachten Buch. Natürlich sind alle Platten auch per Webshop zu erwerben, aber mit der Gesichtslosigkeit von Download-Files will das Label nichts zu tun haben. Anspruchsvolle Musik in jeder Form, Unentdecktes, Schwieriges, thematisch Ausgesuchtes in hoher Interpretations- und Aufnahmequalität soll dem interessierten Publikum auf ansprechende Weise präsentiert werden.

Im breiten Repertoire spiegeln sich auch die persönlichen Neigungen des Komponisten Pröve. Der einstige Schüler von Klaus Huber und Hugues Dufourt sowie Ircam-Stipendiat ist selbstverständlich auch mit eigenen Werke vertreten, unter anderem mit einer Auswahl von klanglich üppigen Kompositionen für Instrumente und Live-Elektronik, mit Kammermusik und mit mehreren Werken für Sechzehnteltonklavier. Eines davon ist auf der bemerkenswerten Platte "The Carrillo 1/16 Tone Piano" zu hören. Sie enthält experimentelle Stücke für ein Instrument, wie es vom mexikanischen Mikroton-Pioniers Julian Carrillo benutzt wurde. Auch die beiden Schweizer Marc Kilchenmann und Martin Imholz gehören zu den Komponisten auf dieser CD.

Hochrangige Interpretenportraits

Viele Platten sind Interpretenportraits. In "Spectral Viola" zeigt Garth Knox, der frühere Bratscher des Arditti Quartetts, grösste klangliche Subtilität im Umgang mit Werken von Giacinto Scelsi und den Spektralisten Gérard Grisey, Tristan Murail und Georg Friedrich Haas. Auch das Berliner Kairos-Quartett, die Flötistin Isabelle Schnöller, der Bassklarinettist Volker Hemken und das Duo Konflikt (Kaja Haan und Isao Nakamura) bürgen in dieser Interpretenserie für exzellente Qualität.

Die Edition Zeitklang besteht eigentlich aus drei Labels, denn es gibt auch noch die Komponistenportraits unter dem Titel "Composers' Art Label" – darunter eine hörenswerte Ferneyhough-Platte mit dem Freiburger Ensemble Surplus – sowie die Reihe "Master Art Records". In letzterer sind hochkarätige Musiker mit ausgesuchten Werken zu hören, wobei vielfach Interpreten und Werke für eine grössere Öffentlichkeit noch zu entdecken sind. Die Themenwahl zeigt: Hier gönnt sich jemand – mit Blick auf den anspruchsvollen Konsumenten – einen kleinen Luxus. So etwa bei der CD der indischen Pianistin Sheila Arnold, die mit ihrem souveränen Spiel an Cembalo, Fortepiano und modernem Flügel gleichermaßen zu faszinieren vermag. Mit Werken von Elisabeth Jacquet de la Guerre, Louise Farrenc, Lili Boulanger und der Weissrussin Tatjana Komarova stösst sie zudem in eine absolute Repertoirelücke vor.

Langer Weg zum wirtschaftlichen Erfolg

In den sechs Jahren ihres Bestehens hat die Edition Zeitklang ihr Repertoire kontinuierlich erweitert und den Vertrieb, Schwachpunkt jedes Kleinlabels, langsam ausgebaut. Achtzig Prozent des Umsatzes werden in den deutschsprachigen Ländern gemacht – Vertriebspartner in der Schweiz ist Jecklin –, der Rest im übrigen Europa und neuerdings Japan. In den Repertoirenischen, die die Edition Zeitklang bedient, ist von der Talfahrt der Plattenindustrie nichts zu spüren, allerdings vorläufig auch noch nichts von finanziellen Höhenflügen. Das Motto heisst: Kleine Schritte und langer Atem. Bis 2006 will das Unternehmen erstmals schwarze Zahlen schreiben. 

© Max Nyffeler, Nov. 2004
Printversion: NZZ, 4.11.2004

Informationen: www.zeitklang.de
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