Die Handorgel-Sufis

Weltmusik aus Berlin/Pakistan

"Flight of the Soul" heißt vielversprechend eine neue CD, die bei Wergo erschienen ist und in schöner Aufmachung zwei pakistanische Musikgruppen präsentiert. Sie stehen, wie das Programmheft erläutert, in der Tradition des Qawwali, einer religiösen Musikpraxis, die auf Quellen des Sufismus vor rund acht Jahrhunderten zurück geht. Mit religiöser Inbrunst zelebriert eine der Gruppen zu Beginn eine Art musikalisches Gebet von dreieinhalb Minuten Dauer zu Ehren Allahs, begleitet von traditionellen Handtrommeln und einem seltsamen orgelähnlichen Instrument, das indes nicht akkordisch, sondern meist einstimmig gespielt wird und in der charakteristischen heterophonen Weise dem Gesang folgt.

In den folgenden, längeren Nummern - die mit ihren zwölf- bis sechzehnminütigen Dauer wohl immer noch für die westlichen Hörgewohnheiten zurechtgestutzte Kurzversionen ritueller Gesänge darstellen - befällt den unvorbereiteten Hörer dann das große Staunen: Das seltsame Begleitinstrument klingt ganz unverwechselbar nach Handharmonika, die Harmonik nähert sich auffällig der guten alten europäischen Durdreiklangsharmonik. Eins-vier-fünf, die Allerweltsstufen jeder Amateur-Rockband, werden im Intro einer der Songs unverhüllt ausgespielt. Zwar versucht der (Hand-?) Orgelspieler, etwas von den differenziert aufgefaserten vokalen Linien auf seinem Instrument zu imitieren, doch werden die charakteristischen mikronalen Schwankungen natürlich gnadenlos diatonisch glatt gebügelt. Das Staunen wächst, wenn noch ein sopransaxophon-ähnliches Blasinstrument dazu kommt.

Eine Fusion von Sufi-Gesang mit irischer Pubmusik, Gospel und deutschem Folklorefestival? Irritiert greift man zum Booklet und sucht zwischen den gelehrten Ausführungen über islamische Mystik, indische Hofmusik und Dschingis Khan nach Erläuterungen. Fehlanzeige. Auch in der Präsentation der beiden angeblich berühmten Musikgruppen steht nichts zu den einzelnen Instrumenten. Angaben zur aktuellen Musizierpraxis der beiden Gruppen fehlen ebenso wie die Information, welche Stücke auf der CD von wem gesungen bzw. gespielt werden. Auf einem der Bilder sieht man immerhin die Tastatur einer Elektroorgel. Mehr an Aufklärung war für die Produzenten offenbar störend, das würde die Begeisterung des Laien ja nur dämpfen. Es klingt doch so schön orientalisch, und die Anklänge an vertraute Akkorde und Klangfarben können die Mitklatschbereitschaft des hiesigen Publikum nur fördern.

Aha, denkt man sich, also irgendeine dieser Ost-West-Begegnungen, die heute in der Weltmusik eben so üblich sind. Inzwischen ist das ja ein prosperierendes Marktsegment im Musikgeschäft. So weit, so gut. Unangenehm berühren nur die im hohen Ton ethnologischer Forschung vorgetragenen Programmheftweisheiten, die mit keinem Wort auf die Problematik der aktuellen Akkulturationsprozesse eingehen. Das ist umso erstaunlicher, als der Textautor zugleich Produzent der CD ist und es darum eigentlich wissen müsste. Das Ganze trägt das Copyright des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin und wurde vom SFB aufgezeichnet. Soviel saloppen Umgang mit dem Weltkulturerbe hätte man dem Berliner Institut nicht zugetraut. Aber die Nähe zur großstädtischen Fun- und Szenenkultur ist für die Produzenten offenbar wichtiger als eine klärende Darstellung der kulturellen Prozesse, auf deren Wellen sie zum Verkaufserfolg zu schwimmen hoffen.

© Max Nyffeler

September/2001

Flight of the Soul - Qawwali from Pakistan. Wergo SM 1534 2

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