Luciano Berios Sequenze und Kagels Elefant

Neue CDs im Dezember 2006

The Mauricio Kagel Edition. Ein discophil aufgemachtes Album zum 75. Geburtstag von Mauricio Kagel stellt auf zwei CDs und einer DVD ausgefallene Werke aus den sechziger und siebziger Jahren vor. In Pandorasbox und Tango alemán  hört man Kagel als Bandoneonist und Sänger, Bestiarium und (Hörspiel) Ein Aufnahmezustand dokumentieren  seine Experimentierlust im Schnittpunkt von Stimme, ausgefallenen Klangerzeugern und Mikrofon. Ein kurioser Fall ist der Film „Ludwig van“: Kagels angestrengt originelle Sicht auf den Klassiker – der verfremdete Schlusschor der Neunten zum Bild kackender Elefanten – wirkt heute ziemlich albern. Seine genauen Beobachtungen aus dem bundesrepublikanischen Alltag von 1969 sind jedoch sehenswert – nach 37 Jahren ein Blick in eine untergegangene Welt. (Winter & Winter 910 128-2; 2 CDs, 1 DVD)

James Clarke: Ensemble- und Kammermusik. Anders als viele seiner englischen Kollegen hat sich der 1957 geborene James Clarke nie dem postmodernen Mainstream verschrieben. Seine Musik ist sperrig, der gepresste, oft geräuschhaft angereicherte Klang erzeugt harte Reibeflächen und heftige Gesten. Die aus vier verwandten Einzelstücken zusammengesetzte Kammersinfonie steht unter dem Druck aufgestauter Energien, im Oboenquintett kommt es zu wüsten Verschlingungen der fünf Stimmen, während in La Violenza delle idee sorfältig ausbalancierte Instrumentalkombinationen vorherrschen. Das Klavierstück Island wiederum taucht in eine nächtlich getönte Klangwelt ein. Mit Nicolas Hodges (Klavier), Peter Veale (Oboe) und dem von James Avery geleiteten Ensemble Surplus sind die Stücke erstklassig besetzt. (Composers’ Art Label/Zeitklang cal 13018)

Luciano Berio: The Complete Sequenzas & Solo Works. Die Reihe der Solowerke, die Luciano Berio 1958 mit Sequenza I für Flöte begann und 2002, ein Jahr vor seinem Tod, mit Sequenza XIV für Cello beschloss, stellt ein Kompendium der Instrumentalkomposition im 20. Jahrhundert dar, geschrieben für jeweils führende Interpreten. In der Gesamtaufnahme von Mode Records bilden die vierzehn Werke ein imposantes Panorama, zumal die Originalwerke noch ergänzt werden durch die zahlreichen solistischen Bearbeitungen und Nebenwerke, die Berio im Laufe der Jahre aus ihnen ableitete. Die sehr informativ gestaltete Edition enthält auch die kurzen Reflexionen, die Eduardo Sanguineti zu jeder einzelnen Sequenza schrieb. Mit Irvine Arditti, William Forman, Rohan de Saram, Aki Takahashi, Carol Robinson und anderen sind in den über ein Jahrzehnt hinweg entstandenen Aufnahmen lauter Könner ihres Fachs versammelt. (Mode Records 161/3; 4 CDs)

Thomas Larcher: Ixxu. Thomas Larcher, der sich als Pianist einen Namen gemacht hat, stellt sich auf einer Porträt-CD mit dem Rosamunde Quartett, Andrea Lauren Brown, Christoph Poppen, Thomas Demenga, und ihm selbst nun auch als ideenreicher Komponist vor. In seinen Streichquartetten Cold Farmer und Ixxu entwirft er tektonisch reich gegliederte Klanglandschaften, durchsetzt mit überraschenden tonalen Reminiszenen und Momenten introvertierter Stille. Rhythmische Spannung und sparsam gesetzte Klanggesten prägen das Cello/Klavier-Duo Mumien. Am meisten kommt seine Musik zu sich im Vokalzyklus My Illness Is the Medecine I Need über Texte von Psychiatriepatienten. Es sind konstruktiv angelegte, aphoristische Charakterstudien, in denen das Wort Abgründe aufreißt, aber auch immer wieder helle Ausblicke aus dem Gefängnis des eigenen Ichs eröffnet. (ECM New Series 1967 / 4763156)

Sofia Gubaidulina: Am Rande des Abgrunds, De profundis, Quaterion, In croce. Der Titel des ersten Stücks auf dieser Porträt-CD von Sofia Gubaidulina ist durchaus mehrdeutig zu verstehen. Ihre Musik balanciert auf einem schmalen Grat. Klangkonstellationen und instrumentaltechnische Figuren, die in einem andern Zusammenhang banal erscheinen würden, beginnen bei ihr intensiv zu leuchten und lassen über den Effekt des déjà vu hinweghören. Das verdankt sich dem unbedingten Ausdrucksbedürfnis, einer Art heiligem Feuer, das ihre Kompositionen durchdringt. Jenseits aller technischen und „innovativen“ Aspekte des Komponierens sind sie Klangzeichen, die auf existenzielle Fragen verweisen. Programmatisch steht dafür das Akkordeonstück De profundis, das untger den Händen von Stefan Hussong schwer atmend aus schauerlichen Tiefen bis in lichte Höhen aufsteigt. (Wergo  6684 2)

© Max Nyffeler

(Dezember/2006)

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