Rap, Rihm und Ringmodulatoren

Neuerscheinungen u.a. von Kessler, Mansurian und aus dem Kölner Feedback-Studio

Die Abstecher zeitgenössischer Komponisten in die Gefilde der aktuellen U-Musik haben oft etwas Anbiederndes. Ganz anders die Komposition ...said the shotgun to the head von Thomas Kessler, in der der 1935 geborene Schweizer mit größter Leichtigkeit das Sinfonieorchester mit einem Rap-Poeten zusammenbringt. Der rhythmische Sprechduktus des schwarzen Amerikaners Saul Williams wird strukturell vom Orchester geschickt aufgefangen, eine Gruppe von Rap-Youngsters kommentiert gelegentlich den aggressiv aufgeladenen Redestrom. Das halbstündige Stück, das im Juli beim Stuttgarter World Music Festival als Hit gefeiert wurde und Ende August im Konzerthaus Berlin auch zum Auftakt der neuen Konzertsaison unter Lothar Zagrosek zu hören war, ist auf der Porträt-CD des Komponisten gekoppelt mit einem neueren Vokalstück und mit Drum Control, einem Klassiker für Schlagzeug und Computer von 1977 (Musiques suisses MGB CTS-M 98).

Ungebärdig und kraftstrotzend wie der junge Siegfried in Mimes Werkstatt, ein Schrecken für alle Anhänger rationaler Kunst-Planung: so trat der 23-jährige Wolfgang Rihm 1975 in  Stuttgart mit Dis-Kontur und ein Jahr später in Donaueschingen mit Sub-Kontur in Erscheinung. In den Aufnahmen mit dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks von 1978 und 2004 können sich die Energieströme dieser eruptiven Musik ungehemmt entfalten (col legno WWE 1CD 20093).

Und gleich noch ein Rückblick in die bewegten Siebziger: Unter dem Titel Feedback Studio Series veröffentlicht das Label Cybele Aufnahmen der Komponisten-Gruppe um Karlheinz Stockhausen, die sich 1970 im Kölner Feedback-Studio zu einer Produktionsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten. Von Johannes Fritsch, einem der Feedback-Initiatoren, liegen mit Hochtöner und Trio 1977 zwei Werke aus jener Zeit vor, in denen Ringmodulation und harmonikales Denken ineinandergreifen. Ein drittes Stück von 1996 gibt einen Einblick in Fritschs neueres Schaffen (Cybele CD 960.307). Die Cellokompositionen des fluxus-bewegten Michael von Biel, Komponist, Interpret, Zeichner und Improvisator, sind dagegen einem strikten Subjektivismus verpflichtet. Deutsche Landschaften und Cellokonzert sind solipsistische Exkursionen in ein Nowhere-Land voller Obertonschwelgereien und manischer Repetitionen: Spontane Klangzeichnungen, in denen sich der cellospielende Komponist der Intuition des Augenblicks überlässt (Cybele CD 960.306).

Ganz durchdrungen von der Magie der armenischen Vokaltradition ist der Chorzyklus Ars Poetica von Tigran Mansurian. Den vom Armenischen Kammerchor mit überwältigender Reinheit und Intensität vorgetragenen a cappella-Sätzen liegen Texte von Yeghishe Tcharents zugrunde, laut Mansurian der bedeutendste Dichter Armeniens im 20. Jahrhundert. Die in einem armenischen Kloster entstandenen Aufnahmen sind weich im Klang, aber von strahlender Klarheit, die Landschaftsfotos im Booklet vermitteln einen Eindruck von der faszinierenden Kulturlandschaft, in der diese Musik wurzelt (ECM 476 3070).

© Max Nyffeler

(September/2006)

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