Der KlangzaubererEduard Brunner mit Werken u.a. von Denisov, Berio, Lehrmann, Nieder, Hosokawa, WidmannEine Dame im Orchester bekam einen Weinkrampf und Hans Zender als Dirigent hatte Mühe, die Musiker bei der Stange zu halten. Und dann erst die Publikumsreaktionen! Wenn Eduard Brunner von den Umständen der Uraufführung von Helmut Lachenmanns „Accanto“ 1976 in Saarbrücken erzählt, wird die gute alte Zeit wieder lebendig, als die neue Musik noch Skandale produzierte. „Accanto“ für Klarinette und Orchester ist eines von drei Stücken, die Brunner bei Lachenmann in Auftrag gegeben und uraufgeführt hat. So schafft man sich einen Ruf als böser Bube der Klarinette, der sein Instrument lieber zum Schnauben, Knarren und Quietschen bringt, anstatt sich den Schönheiten von Mozarts Musik zu widmen. Zumal wenn man als Lehrer noch Lachenmanns Solostück „Dal Niente“ zum Pflichtstück im Unterricht erklärt. Doch das klassische Repertoire, die Werke von Mozart bis Reger, spielt der begehrte Kammermusiker Brunner mit der gleichen Hingebung wie die Moderne, deren engagierter Anwalt er bis heute geblieben ist. Er macht keinen Unterschied zwischen Alt und Neu, und was mancher Hörer in der heutigen Musik als undifferenziertes Geräusch wahrnimmt, bringt er mit derselben Sorgfalt zum Klingen wie die melancholischen Facetten in Mozarts Quintett. Auch Geräusche können schön sein, sagt er, und Schönheit sei nicht teilbar. Das lässt sich auf seiner neuen Soloplatte nachprüfen. „Dal niente“, in den neunziger Jahren schon in Referenzaufnahmen bei ECM und col legno erschienen, ist diesmal nicht dabei. Dafür wartet die CD mit einer Werkauswahl auf, die neben Bekannterem auch einige formidable Kompositionen aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wieder ans Tageslicht holt: das serielle „Madrigal I“ von Henri Pousseur von 1958, die fast gleichaltrige, verspielte Chaplin-Porträtstudie von Arthur Lourié, dem einstigen Pionier der frühen russischen Avantgarde, die ausdrucksstarke Sonate von Edison Denisov oder das farbenreiche „Mosaik“ von Hans-Ulrich Lehmann. Von den jüngeren Komponisten kommen Toshio Hosokawa und Fabio Nieder mit neuen, überaus ansprechenden Werken zum Zug. Brunner liebt die ästhetische Vielfalt, sektiererische Züge sind ihm fremd. Sein interpretatorischer Zugriff gilt unmittelbar dem einzelnen Werk, dessen Charakter er mit bemerkenswerter Präzision darzustellen versteht. Dazu braucht es allerdings jene besondere instrumentale Souveränität, wie sie vom mittlerweile siebzigjährigen Musiker noch immer mühelos praktiziert wird und die Konkurrenz erbleichen lässt. An Feinheit der Artikulation und Geschmeidigkeit des Tons ist sein Spiel kaum zu übertreffen. Apropos "Konkurrenz": Das erste Stück auf der CD ist die Fantasie von Jörg Widmann eine Reverenz an den jüngeren Kollegen. Die freundschaftliche Geste erinnert daran, dass Generationsunterschiede keine Rolle spielen, wenn zwei überragende Könner sich die Hand reichen. © Max Nyffeler Eduard Brunner: Music for Solo Clarinet. Werke von Widmann, Hosokawa, Berio, Reimann, Lourié, Denisov, Goehr, Pousseur, Lehmann, Nieder und Jolivet (Naxos 8.572470) zurück zu CD-Rezensionen, Labelportraits |
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